Rotglut
hörst du mir zu?« Keine Antwort. Wahrscheinlich telefoniert sie schon wieder mit einer ihrer Freundinnen.
Sich ununterbrochen an seiner Hose zupfend, verlässt Rosenberg das Haus. Auf dem Weg zur Garage reißt er noch ein paar Unkräutchen zwischen den Kieselsteinen seiner Einfahrt heraus und muss feststellen, dass die Hose ihm dabei den Magen einschnürt. Tief zieht er die Luft ein, strafft sich, versucht, den Bauch wegzudrücken. Nutzt alles nichts. Er rollt sein Fahrrad aus der Garage und radelt los. Gott sei Dank sind es nur ein paar Minuten Fahrt, lange würde er es auf dem Fahrradsattel nicht aushalten, eingequetscht, wie alles war. Ordentlich schwitzen war genau das Richtige, um eventuell ein paar überflüssige Pfunde loszuwerden. Wobei ihm klar ist, dass er sich dabei selbst belügt. Man verlor dadurch nur Wasser und kein Fett. Leider.
Die Sauna befindet sich in einem exklusiven kleinen Hotel und ist zusammen mit einem Schwimmbad vor einem halben Jahr, ganz im Trend der herrschenden Fitnessbewegung, zum Wohle der Gäste eingerichtet worden. Rosenberg und ein paar seiner Freunde gehörten zu den ersten Gästen, und seitdem sind sie dort regelmäßige Besucher.
Am Hotel Mühlenblick angekommen, wartet bereits sein Rotarierfreund Willi Klotz auf ihn. »Die anderen sind schon drin. Was machst du denn für ein Gesicht?«
»Mich zwackt meine Hose. Los, lass uns reingehen, damit ich das Ding endlich loswerde. Hast du daran gedacht, den Tisch im Parkstübchen für uns zu reservieren?«
»Klar, ich habe sogar ein Schweinchen mitgebracht, in das wir unsere Wetteinsätze stecken können«, grinst Klotz stolz.
Über die am 13. Juni beginnende Weltmeisterschaft sinnierend, spazieren die beiden um das Hotel herum zum neuen Anbau, der Sauna und Bad beherbergt.
Leicht beduselt klettert Rüdiger Rosenberg ein paar Stunden später auf sein Fahrrad. Die blaue Hose zwackt immer noch, der Saunagang hat natürlich nicht wirklich etwas an seiner Figur geändert. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht, eigentlich wollte er um diese Zeit schon längst zu Hause sein. Morgen erwartet ihn in der Bank ein wichtiger Termin, Kunden aus Südamerika.
Die anderen sitzen noch im Gasthof, alle haben ordentlich dem kühlen Weißwein zugesprochen, bis auf Willi, den nichts und niemand von seinem Weizenbier im Sommer abbringen kann. Jakob hat auf Brasilien gesetzt. Rosenberg ist bei Deutschland geblieben, Willi von Italien auf Argentinien umgeschwenkt. ›Man weiß nie, was die für eine Überraschung parat halten, auch wenn sich Argentinien für die letzte WM 1970 nicht qualifiziert hat. Die Argentinier sind eine der erfolgreichsten Mannschaften der Welt‹, so seine Argumentation. Der gute alte Willi. Hoch im Kurs stehen noch die Holländer, aber ihnen kann Rosenberg überhaupt nichts abgewinnen. Jeder hat einen Hunderter in das Schweinchen gesteckt, am Ende soll der Gewinner das gesamte Geld bekommen. Das heißt, wahrscheinlich muss er, Rosenberg, sich das Geld mit Edwin und Freund Haberecht teilen, die ebenfalls die deutsche Mannschaft favorisieren.
Es ist kühl geworden, noch ist von einer lauen Sommernacht Anfang Juni nichts zu spüren. Er hätte sich für den Heimweg mal besser eine bequeme Trainingshose mit langen Beinen eingepackt. Rosenberg fröstelt und strampelt etwas schneller durch den Park. Zu seiner Linken führt ein schmaler Fahrweg zur Straße, die Parkbuchten für die Autos der Spaziergänger liegen im Dunkeln. Ein einsamer Igel tippelt über den Weg und verschwindet raschelnd im Gebüsch.
Der Bankier nimmt das Standlicht eines parkenden Wagens wahr. Wahrscheinlich ein Liebespärchen, das es sich auf dem Rücksitz seines Wagens bequem gemacht hat. Ihm geht das Lied von Insterburg und Co ›Ich liebte ein Mädchen‹ durch den Kopf. Im Moment hört man es alle paar Stunden im Radio, ein richtiger Ohrwurm. Er summt die Melodie vor sich hin. In Gedanken kommt er bis zur Zeile ›Ich liebte ein Mädchen in Spandau, von der war immer der Mann blau‹, als plötzlich eine Gestalt vor sein Fahrrad springt und ihn zum abrupten Abbremsen nötigt. Fast hätte er sich samt seinem Rad überschlagen.
›Merkwürdig, so kalt ist es doch nun auch wieder nicht, als dass man eine Pudelmütze tragen muss‹, denkt Rosenberg noch, dann wird er von hinten gepackt. Arme umschlingen ihn wie Schraubzwingen. Noch bevor er zu schreien anfangen kann, wird sein Mund mit einem klebrigen Band verschlossen und eine übel riechende Tüte oder
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