Rotglut
Doms.
Harry läutete und betrat, nachdem der Summer ihm das Öffnen der großen, grünen Tür signalisiert hatte, die weiträumige Diele. Das Haus musste mindestens 100 Jahre alt sein, schätzte Harry. Staunend schaute er sich um. Das war ja fast wie in einem Museum: alte geschnitzte Schränke, steinerne Figuren an den Wänden. Ehrfurchtsvoll betrat er über den knarrenden Dielenboden das Zimmer der Sekretärin, Frau Haase.
Man hatte ihn wohl bereits erwartet, denn nach einer kurzen Begrüßung verwies sie ihn sofort in einen angrenzenden Raum. Malinowski erhob sich hinter seinem Schreibtisch, an dem er bis eben noch seine Computermaus gesteuert hatte. ›Also doch 21. Jahrhundert‹, dachte Harry. Er wusste nicht so recht, was er eigentlich erwartet hatte. Dass der Denkmalpfleger seine Botschaften in einen Stein meißelte?
»Herr Schipper, wie ich vermute. Bitte nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee oder ein Wasser anbieten? Und was kann ich für Sie tun?« Der Mann kam gleich zur Sache, was Harry gefiel.
Harry hatte sich ein altes Männchen mit Bart vorgestellt. Was hatte er heute nur für eigenartige Ideen? Malinowski war ein Mann von vielleicht 50 Jahren, schlank, mit struppigen blonden Haaren, die seinen Kopf wie eine kleine Löwenmähne umgaben.
»Ja, ein Wasser bitte, sehr nett, vielen Dank. Am besten, ich erzähle Ihnen gleich, um was es geht, ich will Ihre kostbare Zeit nicht länger als nötig in Anspruch nehmen. Hier ist ein Fotoausdruck«, Harry zog das Foto aus dem Umschlag und reichte es seinem Gegenüber. »Es handelt sich, wie wir glauben, um eine Art Wandbild. Die Identifizierung des Bildes beziehungsweise des Hauses, in dem das Bild auf die Wand gemalt worden ist, würde uns vielleicht bei der Aufklärung eines alten Falles weiterhelfen.«
Malinowski betrachtete das Bild nur kurz, stand auf und ging zum Zimmer seiner Sekretärin.
»Frau Haase, bringen Sie mir bitte die Akte ›Kurfürstenallee 313‹. Sie muss ganz oben auf dem Stapel liegen. Und bringen Sie bitte noch Mineralwasser für meinen Gast und mich.«
Er kehrte zurück und setzte sich wieder, wobei er über das ganze Gesicht schmunzelte.
»Herr Schipper, das werden Sie jetzt nicht glauben. Dieses Wandbild habe ich letzte Woche noch gesehen. Es stammt aus dem Keller einer Villa in der Kurfürstenallee aus dem Jahre 1899, die zurzeit modernisiert werden soll. Scheint heute Ihr Glückstag zu sein.«
Harry beugte sich in seinem Stuhl vor und starrte den Denkmalschützer ungläubig an. Er befand sich noch keine fünf Minuten hier und schon war zumindest dieses Rätsel gelöst. Eine schöne Entschädigung für seinen von Gunda unterbrochenen Shakira-Traum.
»Was stellt das Bild denn dar? Und wem gehört das Haus?«, fragte er dann. Der Professor überlegte kurz und erklärte: »Die Villa stammt, wie gesagt, aus dem Jahre 1899 und wird in den nächsten Monaten modernisiert. Und da sie unter Denkmalschutz steht, werden diese Maßnahmen mit uns koordiniert. Die Besitzer und ich trafen uns letzte Woche zum Ortstermin, und dabei verschlug es uns natürlich auch in den Keller. Dieses Wandbild ist ein riesiges Gemälde im ehemaligen Partykeller der Villa. Es muss in den sechziger Jahren angebracht worden sein. Steht natürlich nicht unter Schutz, ist aber wirklich ein Hingucker.« Malinowski konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
»Und was das Bild selbst angeht – das war eben der Geschmack der Zeit, frei nach dem Motto ›Es gibt kein Bier auf Hawaii‹ und so. Amazonen in Eingeborenen-Kostümen zu Pferd, tja, das regte wohl die Fantasie an. Wenn Sie wollen, das heißt, wenn das Bild in einem Kriminalfall eine Rolle spielt, wie Sie sagen, dann können Sie sich das alles natürlich im Original anschauen.«
Harry nickte. »Natürlich, auch wenn die Geschichte schon mehr als 35 Jahre her ist, wird sich unsere Spurensicherung die Räume noch genau anschauen müssen. Wer sind denn nun die Besitzer der Villa?«
»Die Villa wurde vor ein paar Jahren an einen windigen Investor verkauft, heute gehört sie den Schiffsmaklern Thorsteeg und Thorsteeg, die hier einen Firmensitz einrichten wollen. Wem es vorher gehört hat? Kann ich Ihnen so aus dem Stegreif nicht sagen, aber das geht aus der Akte hervor.«
Frau Haase trat ins Zimmer, unter den linken Arm eine dicke Akte geklemmt, mit der rechten Hand ein kleines Tablett mit zwei Gläsern und einer Flasche Mineralwasser balancierend.
»Frau Haase, Sie sind ein
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