Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)
Bis sie dann bei Mehmet hängen geblieben ist, warum, kann sich keiner so recht erklären.
Er, der Mann ohne Familie, sieht plötzlich die Chance, sich etwas aufzubauen. Mit Anja, einer Frau, die schon rein optisch ein paar Nummern zu groß für ihn ist. Bloß braucht er jetzt dringend Kohle, um seinem Kind etwas bieten zu können, und auch, um seine Frau zu halten, sie wäre sonst schnell wieder weg.
Ich weiß bis heute nicht, warum er das ausgerechnet mir erzählte. Vielleicht ahnt er, dass ich so jemanden wie ihn als Partner brauche. Denn auch ich will mehr Geld machen und ich weiß, dass die beste Möglichkeit dafür der Drogenhandel ist. Nur brauche ich da einen Grund. Kohle allein genügt mir nicht. Mit Drogen zu dealen, nur um mich zu bereichern, hätte ich irgendwie unmoralisch gefunden. Um das zu erklären, muss ich ein bisschen ausholen: Ich war nie ein guter Zuhälter. Wenn ich Mädels hatte, die anschaffen gingen, regelte ich natürlich alles für sie. Ich kümmerte mich darum, dass sie in einem guten Club unterkamen. Wenn es Ärger gab, räumte ich den aus dem Weg. Aber ich sagte nie: »Schatz, bitte geh für mich auf den Strich.« Schon gar nicht: »Du musst für mich auf den Strich gehen.«
Und das macht mich zu einem schlechten Zuhälter. Denn die meisten Frauen können damit nicht umgehen. Ich habe lange gebraucht, um zu kapieren, dass Huren den Job für ihren Mann machen wollen. Weil sie die Rechtfertigung brauchen, den Job aus Liebe zu ihrem Zuhälter zu machen. Frauen bekommen nun mal ihr ganzes Leben gesagt, dass sie ihre Beine möglichst zusammenhalten sollen, weil sie sonst Schlampen sind.
Und dann sagt so einer wie ich zu ihnen: »Du fickst rum, weil du geil auf das Geld bist. Oder weil’s dir Spaß macht. Aber du fickst für dich, nicht für mich.« Dann fühlen sie sich bei mir wie eine Schlampe.
Ähnlich ist es bei mir. Ich steige in den Drogenhandel ein, weil mir die Not, die ich in Mehmets Augen sehe, die Rechtfertigung dafür gibt. Ich deale nicht, weil ich scharf auf die Kohle bin – sondern um Mehmet zu helfen. Ich fühle mich in dieser Nacht wie ein Samariter, als ich sage: »Mehmet, wir machen was mit Drogen. Sag mir, wie viel du verkaufen kannst. Ich besorg es. Wir machen dann fifty-fifty.«
Wenige Monate später versorgen wir von Münster bis Heilbronn fast jeden Dealer mit Speed.
Die 90er-Jahre sind die Zeit von Speed und Ecstasy. Die Techno-Szene konsumiert am liebsten diese synthetischen Drogen auf Amphetamin-Basis. Speed wird wie Koks durch die Nase gezogen, Ecstasy als kleine, bunte Pillen geschluckt. Speed kickt schneller als Ecstasy, da es direkt durch die Nasenschleimhäute aufgenommen wird. Die Leber wird also als Filter ausgeschaltet. Schon nach 30 Sekunden merkst du, wie dich der Stoff verändert. Du wirst hibbelig, du fühlst dich, als wärst du mit 200 Sachen auf der Autobahn unterwegs. Ein Geschwindigkeitsrausch, ohne dass du hinterm Steuer sitzt. Du bist euphorisch, kannst die Nacht durchtanzen oder durchvögeln.
Ecstasy wirkt langsamer. Die Euphorie fängt erst eine Stunde nach dem Konsum ganz leicht an. Du nimmst dein Umfeld intensiver wahr, fühlst dich mit allen Menschen emotional verbunden, hast das Gefühl, wahnsinnig tiefe Gespräche zu führen. Die beiden Drogen eint, dass du die Nacht gut durchfeiern kannst.
Auf das Zwischenmenschliche haben die Drogen übrigens recht unterschiedliche Wirkung. Ecstasy: Liebe und Offenheit. Speed: ungezügelter Sexualtrieb. Die Techno-Szene der 90er-Jahre kann man ruhig als ein interessantes Experiment verstehen: Was passiert, wenn man triebgesteuerte Menschen mit emotional wahnsinnig offenen Menschen, die die ganze Welt umarmen wollen, in einen Raum einsperrt? Und dann die Musik aufdreht.
Amphetamine sind seit Beginn des Jahrhunderts als Droge gebräuchlich. Schon im Zweiten Weltkrieg wurden sie von Nazis und Amerikanern an die Soldaten abgegeben, um die Kämpfer wach zu halten. Aber den Durchbruch auf dem Massenmarkt schaffen sie erst durch Techno.
Die Drogenhändler können der Szene dankbar sein, dass sie den künstlichen Suchtstoffen den Vorzug vor den klassischen Drogen gibt. Denn der Amphetaminhandel ist im Gegensatz zu dem mit den natürlichen Suchtsubstanzen eine sichere Sache. Alle auf Kokain basierenden Drogen haben den Nachteil, dass das Geschäft auf Rohstoffen aus dem Ausland basiert. Wenn die Ernte in Kolumbien schlecht ausfällt, die amerikanischen Drogenfahnder mal wieder besonders aktiv sind
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