Rousseau's Bekenntnisse
körperliche Unbehagen machte sie mir noch empfindlicher. Seit einiger Zeit quälten mich unbestimmte und düstere Ahnungen, ohne daß ich wußte worüber. Ich erhielt ziemlich sonderbare anonyme Briefe und sogar unterschriebene Briefe, die es kaum weniger waren. So bekam ich einen von einem Pariser Parlamentsrathe, der, unzufrieden mit der gegenwärtigen Lage der Dinge und sich von den Folgen nichts Gutes versprechend, mich über die Wahl eines Zufluchtsortes in Genf oder in der Schweiz um Rath fragte, um sich mit seiner Familie dorthin zurückzuziehen; wieder einen andern von dem Parlamentspräsidenten Herrn von ... zu ..., der mir vorschlug, für sein Parlament, das damals mit dem Hofe gespannt war, Gesuche und Vorstellungen abzufassen, indem er sich zugleich erbot, mir dazu alle Materialien und Documente, deren ich bedürfen würde, zur Verfügung zu stellen. Wenn ich leide, werde ich leicht übellaunisch; beim Empfang dieser Briefe wurde ich es; meine Antwortsschreiben, in denen ich alles, was man von mir verlangte, rundweg ablehnte, verriethen es. Da diese Briefe Fallstricke meiner Feinde [Fußnote: Ich wußte zum Beispiel, daß der Präsident von ... mit den Encyklopädisten und Holbachianern sehr befreundet war.] sein konnten, und das Verlangte den Grundsätzen widersprach, die ich jetzt weniger als je aufgeben wollte, so mache ich mir diese Ablehnung nicht zum Vorwurfe; aber während ich mich in freundlicher Weise weigern konnte, that ich es mit Härte, und darin hatte ich Unrecht.
Unter meinen Papieren wird man die eben erwähnten beiden Briefe finden. Der des Parlamentsraths überraschte mich durchaus nicht, da ich gleich ihm und vielen anderen überzeugt war, daß die sichtlich zusammenbrechende Verfassung, Frankreich mit einem nahen Zusammensturze bedrohte. Die Unfälle eines unglücklichen Krieges, [Fußnote: Des siebenjährigen Krieges.] an denen allein die Regierung Schuld hatte; die unglaubliche Unordnung der Finanzen; die fortwährenden Schwankungen in der Verwaltung, die bis zu jener Zeit in den Händen zweier oder dreier Minister lag, welche sich offen bekämpften und, nur um sich gegenseitig zu schaden, das Königreich zu Grunde richteten; die allgemeine Unzufriedenheit des Volkes und aller Stände; die Halsstarrigkeit einer eigensinnigen Frau, die dadurch, daß sie ihre Einsicht, so weit sie solche besaß, beständig ihren Neigungen opferte, fast immer die fähigsten Leute von den Aemtern fern hielt, um sie mit ihren Günstlingen zu besetzen: alles wirkte zusammen, die Voraussicht des Parlamentsraths so wie die des Publikums und meine eigene zu rechtfertigen. Diese Voraussicht machte mich sogar selbst mehrmals schwankend, ob nicht auch ich ein Asyl außerhalb des Landes suchen sollte, ehe die dem Anscheine nach es bedrohenden Unruhen hereinbrachen. Allein im Hinblick auf meine Unbedeutendheit und mein friedfertiges Wesen beruhigt, glaubte ich, daß in der Einsamkeit, in der ich zu leben gedachte, kein Sturm bis zu mir dringen könnte. Nur das betrübte mich, daß sich Herr von Luxembourg bei diesem Stande der Dinge zu Diensten hergab, die ihn in seiner Statthalterschaft von manchem Guten zurückhalten mußten. Ich hätte gewünscht, daß er sich dort für jeden Fall eine Zuflucht sicherte, wenn die große Maschine wirklich zusammenbrach, wie es bei der gegenwärtigen Lage der Dinge zu befürchten stand, und noch jetzt scheint es mir zweifellos, daß, wären nicht endlich alle Zügel der Regierung in eine einzige Hand [Fußnote: In die des Herzogs von Choiseul.] gefallen, die französische Regierung jetzt in den letzten Zügen läge.
Während sich mein Zustand verschlimmerte, wurde der Druck des »Emil« immer langsamer und endlich ganz unterbrochen, ohne daß ich den Grund erfahren konnte, ohne daß mich Guy einer Anzeige oder einer Antwort gewürdigt, ohne daß mich jemand benachrichtigt oder darüber aufgeklärt hätte, was eigentlich vorginge, da sich Herr von Malesherbes gerade auf dem Lande aufhielt. Nie wird mich ein Unglück, welches es auch sein möge, verwirren oder niederschlagen, falls ich weiß, worin es besteht; aber ich habe eine natürliche Angst vor dem Dunkeln; das Schaudrige in demselben fürchte und hasse ich. Das Geheimnisvolle beunruhigt mich stets, es steht in zu grellem Gegensatze zu meiner bis zur Unbesonnenheit offenen Natur. Der Anblick des gräßlichsten Ungeheuers würde mir, wie ich glaube, wenig Angst einjagen; aber würde ich nachts undeutlich eine Gestalt in
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