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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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und meiner Bürgerpflicht die öffentliche Theilnahme an dem Cultus, in den ich wieder eingetreten war, nicht vernachlässigen; ich wohnte deshalb den Gottesdiensten bei. Andrerseits hegte ich die Befürchtung, mich, wenn ich am Tische des Herrn erschiene, dem Schimpfe einer Zurückweisung auszusetzen, und es war durchaus nicht wahrscheinlich, daß er mich nach dem vom Genfer Rathe und der Neufchâteler Geistlichkeit erhobenen Lärme in seiner Kirche ruhig zu dem Genusse des heiligen Abendmahls zulassen würde. Als die dort übliche Communionszeit heranrückte, entschloß ich mich, an Herrn von Montmollin (so hieß nämlich der Prediger) zu schreiben, um ihn von meiner löblichen Absicht in Kenntnis zu setzen und ihm zu erklären, daß ich im Herzen stets auf dem Boden der protestantischen Kirche gestanden hätte. Gleichzeitig zeigte ich ihm an, um allen falschen Auslegungen hinsichtlich meiner Ansichten über die Glaubensartikel aus dem Wege zu gehen, daß ich eine besondere Besprechung über das Dogma nicht wünschte. Nachdem ich nach dieser Seite hin meine Maßregeln ergriffen hatte, wartete ich in aller Ruhe, nicht zweifelnd, daß mir Herr von Montmollin ohne vorausgehende Erörterung, die ich von der Hand wies, die Zulassung verweigern würde, und daß damit ohne meine Schuld alles zu Ende wäre. Trotzdem war es nicht der Fall. Als ich es am wenigsten erwartete, kam Herr von Montmollin, um mir zu erklären, daß er mich nicht allein unter dem von mir verlangten Vorbehalte zur Communion zuließe, sondern auch daß er und seine Kirchenältesten es sich zur Ehre anrechneten, mich zu ihrer Gemeinde zu zählen. Nie hatte ich in meinem Leben eine ähnliche noch eine tröstlichere Ueberraschung. Stets vereinsamt auf Erden leben schien mir ein sehr trauriges Loos, besonders im Unglücke. Inmitten so vieler Verbannungen und Verfolgungen war es mir ein ungemein süßes Gefühl, mir sagen zu können: wenigstens bin ich unter meinen Brüdern; und ich ging zum Tische des Herrn mit einer Erregung des Herzens und mit Thränen der Rührung, die vielleicht die Gott wohlgefälligste Vorbereitung waren, die man dazu mitbringen konnte.
    Einige Zeit nachher sandte mir Mylord einen Brief von Frau, von Boufflers, dessen Besorgung nach meiner Vermuthung d'Alembert, der Mylord Marschall kannte, übernommen hatte. In diesem Briefe, dem ersten, den diese Dame seit meiner Abreise von Montmorency an mich geschrieben hatte, schalt sie mich heftig über mein Schreiben an Herrn von Montmollin, wie besonders darüber aus, daß ich communicirt hatte. Ich begriff um so weniger, was sie mit diesem Verweise im Schilde führte, als ich mich seit meiner Genfer Reise stets laut für einen Protestanten erklärt und ganz öffentlich die Gottesdienste in der holländischen Gesandtschaftskapelle besucht hatte, ohne daß irgend jemand etwas Anstößiges darin gefunden. Es kam mir komisch vor, daß sich Frau Gräfin von Boufflers damit beschweren wollte, mir in religiösen Angelegenheiten ihren Rath zu ertheilen. Da ich jedoch nicht zweifelte, daß ihre Absicht, so unbegreiflich sie auch war, die beste von der Welt sein müßte, so fühlte ich mich über diesen eigenthümlichen Ausfall nicht gekränkt und antwortete ihr ohne leidenschaftliche Erregung unter Darlegung meiner Gründe.
    Die gedruckten Beleidigungen gingen inzwischen ungestört weiter und ihre wackeren Verfasser machten den Regierungen den Vorwurf, mich allzu milde zu behandeln. Dieses einstimmige Gekläff einer Meute, die nach wie vor unter dem Schleier verhüllt ihr Wesen trieb, hatte etwas Unheimliches und Erschreckendes. Ich für meine Person ließ sie schimpfen, ohne mich zu rühren. Man versicherte, die Sorbonne hätte mein Werk verdammt; ich glaubte es nicht. Wie konnte sich die Sorbonne in diese Angelegenheit mischen? Wollte sie erklären, daß ich kein Katholik wäre? Alle Welt wußte es. Wollte sie beweisen, ich wäre kein guter Calvinist? Was ging es sie an? Damit hätte sie sich eine eigenthümliche Mühe gegeben, damit hätte sie sich zum Vertreter unserer Geistlichkeit aufgeworfen. Ehe ich diese Schrift gesehen hatte, glaubte ich, man hätte sie unter dem Namen der Sorbonne in Umlauf gesetzt, um sich über dieselbe lustig zu machen; und als ich sie gelesen hatte, glaubte ich es sogar noch weit mehr. Als ich an ihrer Echtheit endlich nicht mehr zweifeln konnte, drängte sich mir die Ueberzeugung auf, daß die Sorbonne für das Irrenhaus reif wäre.

1763
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