Rousseau's Bekenntnisse
günstig beurtheilte, sagte er zu mir, er hätte zwar keine geräumige Wohnung, sie bestände nur aus einem einzigen Zimmer, aber er würde mich unter keinen Umständen auf dem Markte schlafen lassen; es wäre schon zu spät, um noch ein Nachtlager zu suchen, und er böte mir deshalb für diese Nacht die Hälfte seines Bettes an. Ich nehme das Anerbieten an, da ich bereits voller Hoffnung bin, mir einen Freund zu erwerben, der mir nützlich werden könnte. Wir gehen. Er schlägt Feuer. Sein Zimmer erscheint mir bei seiner Kleinheit sauber; er spielt in sehr freundlicher Weise den Wirth. Aus einem Glase nahm er eingemachte Kirschen, von denen wir einige aßen und uns dann zu Bett begaben.
Dieser Mensch hatte die nämlichen Neigungen wie mein Jude im Hospiz, aber er gab sie nicht in so roher Weise zu erkennen. Sei es nun, daß er in der Besorgnis, ich könnte ein Verständnis von seiner Absicht haben, Bedenken trug, mich zur Vertheidigung zu zwingen, oder sei es, daß ihm wirklich nicht sehr viel an der Ausführung seines Vorhabens lag: er wagte nicht, es mir offen anzumuthen, und suchte mich dazu anzureizen, ohne mich zu beunruhigen. Besser unterrichtet als das erste Mal, begriff ich bald seine Absicht und schauderte. Da ich weder wußte, in welchem Hause noch unter wessen Händen ich mich befand, befürchtete ich, daß ich, sobald ich Lärm machte, dafür mit meinem Leben büßen müßte. Ich stellte mich, als verstände ich sein Verlangen nicht; als ich aber die Miene annahm, als ob mir seine Liebkosungen sehr lästig wären und mir alle weiteren auf das entschiedenste verbat, hatte es den Erfolg, daß er mich nicht mehr zu belästigen wagte. Darauf redete ich zu ihm mit aller Sanftmuth und Entschiedenheit, deren ich fähig war, und ohne zu thun, als hegte ich Argwohn gegen ihn, entschuldigte ich mich wegen der an den Tag gelegten Unruhe unter Hinweis auf mein früheres Abenteuer, welches ich ihm mit Ausdrücken voll so ungekünstelten Widerwillens und Abscheus erzählte, daß ich, wie ich glaube, sein eigenes Herz bewegte, und er völlig auf sein schmutziges Vorhaben verzichtete. Wir verbrachten ruhig den Rest der Nacht. Er sagte mir selbst viel Schönes und Verständiges, und er war gewiß nicht unbegabt, wenn er auch ein nichtswürdiger Mensch war.
Am Morgen redete der Herr Abbé, der mir keine mißvergnügte Miene zeigen wollte, vom Frühstücken, und bat eine der Töchter seiner Wirthin, ein hübsches Mädchen, ein Frühstück zu holen. Sie erklärte, keine Zeit zu haben. Er wendete sich an ihre Schwester, die ihn gar keiner Antwort würdigte. Wir warteten und warteten; kein Frühstück. Endlich gingen wir nach dem Zimmer dieser Fräulein. Sie empfingen den Herrn Abbé mit keiner sehr liebenswürdigen Miene; ich konnte mich noch weniger einer freundlichen Aufnahme rühmen. Die Aeltere drehte mir den Rücken zu und trat mir dabei mit ihrem spitzen Absatze auf die Zehen, wo mich ein sehr schmerzhaftes Hühnerauge gezwungen hatte, ein Stück vom Schuhe abzuschneiden; die andere riß schnell einen Stuhl hinter mir fort, auf den ich mich eben setzen wollte; ihre Mutter bespritzte mir, als sie Wasser zum Fenster hinausgoß, das Gesicht; jedes Plätzchen, worauf ich mich niederlassen wollte, wurde fortgenommen, indem man that, als ob man dort etwas suchte; noch nie in meinem Leben war ich Zeuge eines solchen Auftritts gewesen. Ich sah aus ihren beleidigenden und spöttischen Blicken eine verborgene Wuth hervorleuchten, die ich dummer Weise nicht begriff. Erstaunt, verblüfft, geneigt, sie alle für besessen zu halten, begann ich ernstlich in Schrecken zu gerathen, als sich der Abbé, der weder zu sehen noch zu hören schien, aber recht wohl einsah, daß auf ein Frühstück nicht zu rechnen war, entschloß, das Zimmer zu verlassen, und ich beeilte mich, ihm zu folgen, sehr zufrieden, diesen drei Furien zu entkommen. Beim Fortgehen schlug er mir vor, in einem Café zu frühstücken. Obgleich ich großen Hunger hatte, nahm ich dieses Anerbieten, das er auch nicht öfter wiederholte, nicht an, und wir trennten uns an der dritten oder vierten Straßenecke, ich, entzückt, alles, was zu diesem verfluchten Hause gehörte, aus dem Auge zu verlieren, und er, wie ich glaube, höchst zufrieden darüber, daß er mich weit genug fortgebracht hatte, um es nicht so leicht wieder erkennen zu können. Da mir weder in Paris noch in irgend einer andern Stadt je etwas Aehnliches, wie in den beiden erwähnten Fällen zugestoßen ist, so
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