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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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bis auf den kleinsten Zug getreulich geschildert war, sicherlich geschnitten haben wird. Er begann mit den Worten:
Du glaubtest, greiser Tropf, daß eine tolle Lust,
Den Schwächling zu erzieh'n, erfüllte meine Brust.
     
    Dieses kleine und, aufrichtig gesagt, schlechte Gedicht, dem es aber nicht an attischem Salze fehlte und das Talent zur Satire verrieth, ist demungeachtet die einzige satirische Schrift, welche aus meiner Feder hervorgegangen ist. Ich bin viel zu frei von aller Gehässigkeit, um ein solches Talent auszunutzen, allein man kann, wie ich glaube, aus einigen polemischen Schriften, die ich hin und wieder zu meiner Vertheidigung verfaßt habe, schließen, daß meine Angreifer, wäre ich streitsüchtigen Charakters gewesen, die Lacher selten auf ihrer Seite gehabt haben würden.
    Was ich im Hinblick auf die Einzelnheiten meines Lebens, deren ich mich nicht mehr zu erinnern vermag, am meisten bedauere, ist, daß ich keine Tagebücher über meine Reisen geführt habe. Nie habe ich so viel gedacht, nie bin ich mir meines Daseins, meines Lebens so bewußt, nie, wenn ich so sagen darf, so ganz Ich gewesen, wie auf denen, die ich allein und zu Fuß gemacht habe. In dem Wandern liegt etwas, das meine Gedanken weckt und belebt; verharre ich auf der Stelle, so bin ich fast nicht im Stande zu denken; mein Körper muß in Bewegung sein, damit mein Geist in ihn hineintritt. Der Blick über die Gegend, die Reihe freundlicher Aussichten, die frische Luft, der große Appetit, das Wohlbefinden, das ich beim Gehen bekomme, die Zwanglosigkeit im Wirthshause, die Abwesenheit von allem, was mir meine Abhängigkeit fühlbar macht, von allem, was mich an meine Lage erinnert, dies alles macht meine Seele frei, verleiht mir eine größere Gedankenkühnheit, schleudert mich gewissermaßen in die Unermeßlichkeit der Dinge, um sie zu ordnen, auszuwählen und mir nach meinem Sinne, ohne Zwang und Furcht, anzueignen. Ich verfüge als Herr über die ganze Natur; von Gegenstand zu Gegenstand schweifend, vereinigt und identificirt sich mein Herz mit denen, die es angenehm berühren, umgiebt sich mit reizenden Bildern, berauscht sich an lieblichen Empfindungen. Wenn ich, um sie festzuhalten, mich damit ergötze, innerlich eine Schilderung von ihnen zu entwerfen, welche Lebensfrische der Formen, welchen Glanz der Farben, welche Kraft des Ausdrucks gebe ich ihnen dann! Man will etwas von dem allen in meinen Werken gefunden haben, obgleich ich sie erst in höheren Lebensjahren geschrieben habe. Ach, hätte man die meiner frühsten Jugend gesehen, die, welche ich auf meinen Reisen verfaßt, die, welche ich entworfen und nie niedergeschrieben habe! ... Weshalb, wird man einwenden, sie nicht schreiben? Aber weshalb sie schreiben? werde ich antworten. Weshalb mich um den wirklichen Zauber des Genusses bringen, um anderen zu sagen, daß ich Genuß gehabt? Was kümmerten mich Leser, Publikum, ja die ganze Welt, so lange ich im Himmel schwebte. Führte ich denn übrigens Papier und Federn bei mir? Hätte ich an alles das gedacht, dann würde keine Gedankenwelt in mir aufgestiegen sein. Ich sah nicht voraus, daß ich Gedanken haben würde; sie kommen nach ihrem, nicht nach meinem Gefallen; sie überwältigen mich durch ihre Zahl und Stärke. In zehn Bänden täglich hätte ich sie nicht unterbringen können. Woher Zeit nehmen, um sie zu schreiben? Sobald ich ankam, dachte ich an ein gutes Essen, wenn ich wieder aufbrach, dachte ich nur an eine angenehme Wanderung. Ich fühlte, daß ein neues Paradies meiner am Thore wartete; ich dachte nur daran, so schnell als möglich hinein zu gehen.
    Nie habe ich alles dies so deutlich empfunden wie auf der Rückreise, von der ich spreche. Als ich nach Paris ging, erfüllten mich nur Gedanken an das, was ich dort anfangen sollte. Ich hatte mich in die Laufbahn gestürzt, in die ich einzutreten gedachte, und sie glorreich bis ans Ziel verfolgt; allein diese Laufbahn war nicht die, zu der mein Herz mich hinzog, und die Bilder der Wirklichkeit thaten den Bildern der Einbildungskraft Abbruch. Der Oberst Godard und sein Neffe spielten neben einem Helden gleich mir eine traurige Rolle. Dank dem Himmel war ich jetzt von all diesen Hemmnissen befreit. Nach eigenem Belieben konnte ich mich in die Traumwelt vertiefen, denn sie allein lag noch vor meinen Blicken da; auch verlor ich mich so tief in sie hinein, daß ich in der That mehrmals den Weg unter mir verlor, und es würde mich sehr verdrossen haben, wäre ich

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