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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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welche sie mir, als ich Le Maître begleitete, einen Brief mitgegeben hatte; es war also eine alte Bekanntschaft. Fräulein du Chatelet theilte mir mit, ihre Freundin wäre wirklich durch Lyon gekommen, sie wüßte jedoch nicht, ob sie ihren Weg bis Piemont fortgesetzt hätte, da sie bei ihrer Abreise selbst unschlüssig gewesen wäre, ob sie nicht in Savoyen bleiben sollte; sie würde, wenn ich es wünschte, schreiben, um sich danach zu erkundigen, und es würde für mich am besten sein, diese Nachrichten in Lyon abzuwarten. Ich nahm das Anerbieten an, hatte indessen nicht das Herz, Fräulein du Chatelet anzudeuten, daß ich einer schnellen Antwort benöthigt wäre und mir die Erschöpfung meiner kleinen Börse kein langes Warten gestattete. Was mir diese Zurückhaltung auferlegte, war nicht etwa, daß sie mich unfreundlich empfangen hätte; im Gegentheil, sie war sehr artig gegen mich gewesen und behandelte mich auf einem Fuße der Gleichheit, der mir den Muth raubte, ihr einen Einblick in meine Lage zu gewähren und von der Rolle eines Mitgliedes der guten Gesellschaft zu der eines unglücklichen Bettlers herabzusteigen.
    Ich bin überzeugt, die Reihenfolge aller in diesem Buche aufgezeichneten Erlebnisse ziemlich klar zu überblicken. Indessen glaube ich mich aus der nämlichen Zeit noch einer anderen Lyoner Reise zu erinnern, die ich nicht unterzubringen weiß und auf der ich mich schon in großer Noth befand. Ein kleiner Vorfall, der sich nicht gut in Worten wiedergeben läßt, wird sie in meiner Erinnerung stets wach erhalten. Eines Abends saß ich in Bellecour nach einem sehr kärglichen Mahle in Träumereien versenkt da, wie ich mich aus meiner Bedrängnis retten könnte, als sich ein Mann in einer Mütze an meine Seite setzte. Dieser Mann hatte das Aeußere eines jener Seidenarbeiter, die man in Lyon Tafftmacher nennt. Er redet mich an, ich antworte ihm. Kaum hatten wir eine Viertelstunde geplaudert, als er mir, stets mit der nämlichen Kaltblütigkeit und ohne den Ton zu ändern, den Vorschlag macht, uns gemeinschaftlich zu belustigen. Ich rechnete darauf, daß er mir die Art dieser Belustigung erklären sollte; aber ohne etwas hinzuzufügen, schickte er sich an, es mir durch sein Beispiel zu zeigen. Wir berührten uns fast, und die Nacht war nicht dunkel genug, um mir zu verhüllen, was für einem Zeitvertreibe er sich hinzugeben gedachte. An meiner Person wollte er sich nicht vergreifen, wenigstens verrieth mir nichts diese Absicht, und der Ort wäre dazu nicht günstig gewesen; er wollte nur, genau wie er mir gesagt hatte, sich belustigen und daß ich mich belustigte, jeder für sich selbst, und das schien ihm so natürlich, daß er nicht im Geringsten ahnte, ich könnte weniger Gefallen daran finden als er. Ich war über diese Unverschämtheit so erschreckt, daß ich mich, ohne ihm zu antworten, schnell erhob und aus Leibeskräften davon lief, da ich befürchtete, dieser Elende würde mir nachsetzen. Ich war so verwirrt, daß ich, anstatt den Weg nach meiner Wohnung durch die Straße Saint-Dominique zu nehmen, den Quai entlang lief und erst hinter der hölzernen Brücke Halt machte, am ganzen Leibe zitternd, als hätte ich ein Verbrechen begangen. Ich huldigte demselben Laster; die Erinnerung an jene Frechheit heilte mich auf lange davon.
    Auf dieser Reise hatte ich ein Abenteuer fast des nämlichen Charakters, das mich jedoch in größere Gefahr stürzte. Sehend, daß mein baares Geld auf die Neige ging, war ich mit dem geringen Reste äußerst sparsam. Ich aß in meinem Gasthause weniger oft und bald gar nicht mehr, da ich mich im Speisehause für fünf oder sechs Sous eben so gut sättigen konnte, wie dort für fünfundzwanzig. Da ich dort nicht mehr aß, glaubte ich auch nicht länger daselbst schlafen zu können, nicht, weil es mir große Kosten verursachte, sondern weil ich mich schämte, ein Zimmer einzunehmen, ohne meiner Wirthin etwas zu verdienen zu geben. Die Jahreszeit war schön. Eines Abends, als es sehr warm war, beschloß ich, die Nacht auf dem Markte zuzubringen, und schon hatte ich auf einer Bank mein Lager aufgeschlagen, als ein Abbé, der mich beim Vorübergehen in Schlaf versunken sah, an mich herantrat und mich fragte, ob ich kein Obdach hätte. Ich entdeckte ihm meine Lage, und er schien von ihr gerührt. Er setzte sich an meine Seite, und wir plauderten. Er sprach angenehm; alles, was er zu mir sagte, gab mir von ihm die beste Meinung von der Welt. Als er erkannte, daß ich ihn

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