Rousseau's Bekenntnisse
Schülerinnen und unter andern eine, welche die mittelbare Ursache einer Veränderung meines Verhältnisses wurde, deren ich erwähne, da ich doch einmal alles sagen muß. Sie war die Tochter eines Krämers, Namens Lard, ein wahres Modell für eine griechische Bildsäule, die ich für das schönste Mädchen, welches ich je gesehen, ausgeben würde, wenn es eine wahre Schönheit ohne Leben und Seele gäbe. Ihre Stumpfheit, ihre Kälte, ihre Unempfindlichkeit gingen ins Unglaubliche. Es war eben so unmöglich ihr zu gefallen wie sie ärgerlich zu machen, und ich bin überzeugt, daß sie sich, hätte man sich Freiheiten gegen sie erlaubt, alles hätte gefallen lassen, nicht aus Lust daran, sondern aus reiner Dummheit. Ihre Mutter, die dergleichen vorbeugen wollte, wich nicht von ihrer Seite. Dadurch daß sie ihr Gesangunterricht geben ließ und einen jungen Lehrer dazu wählte, that sie ihr Bestes, um ihr Leben einzuflößen, aber es gelang ihr nicht. Während der Lehrer der Tochter den Hof machte, machte ihn die Mutter dem Lehrer mit nicht viel besserem Glück. Frau Lard verband mit ihrer natürlichen Lebhaftigkeit noch alle die, welche ihre Tochter hätte haben sollen. Es war ein aufgewecktes, zwar unregelmäßiges, aber angenehmes Gesichtchen, dem nur die Blattern übel mitgespielt hatten. Sie hatte kleine, sehr feurige und ein wenig röthliche Augen, weil sie fast immer schlimm waren. Jeden Morgen fand ich, sobald ich kam, meinen Rahmkaffee bereit, und die Mutter versäumte nie, mich mit einem Kusse auf den Mund zu empfangen, den ich der Tochter aus Neugier gern hätte wiedergeben mögen, um zu sehen, wie sie sich dabei benommen haben würde. Uebrigens machte sich das so einfach und war so ungefährlich, daß auch in Herrn Lards Gegenwart die Scherze und Küsse ungestört weiter gingen. Er war eine ehrliche Haut, der echte Vater seiner Tochter, den seine Frau nicht betrog, weil es bei ihm nicht nöthig war.
Ich gab mich zu diesen Zärtlichkeiten mit meiner gewöhnlichen Tölpelhaftigkeit her, da ich sie ganz ehrlich für Zeichen reiner Freundschaft hielt. Indessen wurde sie mir mitunter doch lästig, denn die lebhafte Frau Lard ward mit der Zeit anspruchsvoll, und wäre ich am Tage an ihrem Laden vorbeigegangen, ohne einen Augenblick vorzusprechen, würde es Lärm gesetzt haben. Wenn ich Eile hatte, mußte ich einen Umweg durch eine andere Straße machen, da ich recht wohl wußte, daß es schwerer war von ihr wieder fortzukommen als einzutreten.
Frau Lard beschäftigte sich zu viel mit mir, als daß ich mich nicht mit ihr hätte beschäftigen sollen. Ihre Aufmerksamkeiten rührten mich sehr. Ich redete mit Mama davon wie von einer offenkundigen Sache, und würde auch dann, wenn es hätte ein Geheimnis sein sollen, mit ihr geredet haben, denn es wäre mir unmöglich gewesen, ihr etwas zu verheimlichen; mein Herz lag vor ihr so offen wie vor Gott. Sie faßte die Sache nicht ganz so unschuldig auf wie ich. Sie betrachtete das, was ich für Freundschaftsbeweise hielt, als Annäherungsversuche; sie war überzeugt, daß es der Frau Lard, sobald sie einen Ehrenpunkt daraus gemacht, mich der Dummheit, in der sie mich gefunden hatte, zu entreißen, auf die eine oder die andere Weise gelingen würde, sich mir verständlich zu machen; und ganz abgesehen von der Unbilligkeit, daß sich eine andere Frau die Belehrung ihres Zöglings anmaßte, hatte sie Gründe, die ihrer würdiger waren, mich vor den Schlingen zu bewahren, denen mich mein Alter und mein Stand aussetzten. Zu der nämlichen Zeit legte man mir eine von noch gefährlicherer Art, der ich zwar entging, die sie aber darauf aufmerksam machten, daß die mir unaufhörlich drohenden Gefahren alle Schutzmittel nöthig machten, die zu ihrer Verfügung standen.
Die Frau Gräfin von Menthon, Mutter einer meiner Schülerinnen, war eine Frau von viel Geist und stand in dem Rufe, eben so boshaft wie geistreich zu sein. Sie sollte dem Gerüchte nach die Ursache vieler Zwistigkeiten gewesen sein, und unter andern einer, die für die Familie Antremont verhängnisvolle Folgen gehabt hatte. Mama war mit ihr befreundet genug gewesen, um ihren Charakter zu kennen. Da sie völlig unschuldigerweise einem Herrn, auf welchen Frau von Menthon Absichten hatte, Neigung eingeflößt, rechnete ihr letztere diese Bevorzugung als Verbrechen an, obgleich sie sie weder gesucht noch angenommen hatte, und seitdem suchte Frau von Menthon ihrer Nebenbuhlerin mehrere Streiche zu spielen, von denen
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