Rousseau's Bekenntnisse
gethan hätte. Ihre vorbereitende Einleitung, die eigenthümlichen Anstalten, die sie machte, hatten mich mit Unruhe erfüllt. Wider meinen Willen, während sie sprach, träumerisch und zerstreut, war ich weniger mit dem, was sie sagte, als mit Grübeleien darüber beschäftigt, worauf sie eigentlich abzielte, und sobald ich dies begriffen hatte, was mir gar nicht leicht wurde, beschäftigte mich darauf die Neuheit dieses Gedankens, auf den ich, so lange ich bei ihr lebte, auch nicht ein einziges Mal gekommen war, so vollständig, daß ich unfähig war, an das zu denken, was sie sagte. Ich dachte nur an sie und hörte sie nicht.
Wenn man junge Leute auf das, was man ihnen sagen will, dadurch aufmerksam zu machen sucht, daß man ihnen einen sie überaus anziehenden Gegenstand als Ziel zeigt, so begeht man eine große Thorheit, die ich mir selbst in meinem Emil habe zu Schulden kommen lassen. Gefesselt von dem Gegenstande, den man ihm in Aussicht stellt, beschäftigt sich der junge Mensch einzig und allein mit diesem und springt in einem Satz über eure einleitenden Reden hinfort, um augenblicklich das Ziel zu erreichen, welchem ihr ihn viel zu langsam für seine Wünsche entgegenführt. Will man ihn aufmerksam machen, darf man sich nicht vor der Zeit durchschauen lassen, und hierin zeigte sich Mama ungeschickt. In Folge einer Wunderlichkeit, die in ihrem systematischen Wesen ihre Erklärung findet, ergriff sie die sehr vergebliche Vorsichtsmaßregel, ihre Bedingungen zu stellen; aber sobald ich erst den verheißenen Lohn wußte, hörte ich nicht einmal auf jene und beeilte mich, auf alles einzugehen. Ich zweifle sogar, daß es auf der ganzen Welt einen Mann giebt, der aufrichtig und muthig genug wäre, um in einer ähnlichen Lage zu feilschen, und auch nur eine einzige Frau, die ihm ein solches Unterfangen verzeihen könnte. Aus gleicher Wunderlichkeit gab sie dieser Uebereinkunft die feierlichsten Formen und räumte mir acht Tage ein, um darüber nachzudenken, die ich lügnerischer Weise versicherte nicht erst nöthig zu haben, denn um allen Wunderlichkeiten noch die Krone aufzusetzen, war ich sehr froh, sie zu bekommen, so bestürzt hatte mich die Neuheit dieser Gedanken gemacht und einen so großen Umschwung fühlte ich in den meinen, welcher Zeit verlangte, sie erst zu ordnen.
Man meint vielleicht, diese acht Tage wären mir wie eben so viele Jahrhunderte vorgekommen; ganz im Gegentheil, ich hätte gewünscht, sie hätten wirklich so lange gedauert. Ich weiß nicht, wie ich den Zustand, in dem ich mich befand, schildern soll; mich peinigte ein mit Ungeduld gemischter Schrecken, bei dem ich das, wonach ich mich sehnte, in einem solchen Grade fürchtete, daß ich bisweilen in vollem Ernste in meinem Kopfe nach einem anständigen Mittel suchte, meinem Glücke aus dem Wege zu gehen. Stelle man sich mein glühendes und sinnliches Temperament, mein erhitztes Blut, mein liebetrunkenes Herz, meine Lebenskraft, meine Gesundheit und mein Alter vor! Sei man dessen eingedenk, daß ich in diesem Zustande, nach Sinnengenuß schmachtend, noch nie eine Frau berührt hatte, daß die Einbildungskraft, der Naturtrieb, die Eitelkeit, die Neugier sich vereinten, um mich mit dem glühenden Verlangen zu erfüllen, ein Mann zu sein und mich als solcher zu zeigen! Und dann darf man vor allen Dingen nicht vergessen, daß meine lebhafte und zärtliche Zuneigung zu ihr nicht etwa allmählich erkaltet war, sondern sich vielmehr mit jedem Tage gesteigert hatte, daß ich mich nur an ihrer Seite wohl fühlte, daß ich mich von ihr nur entfernte, um an sie zu denken, daß sie mein ganzes Herz einnahm nicht allein wegen ihrer Güte und ihres liebenswürdigen Charakters, sondern auch um ihres Geschlechts, ihres Aeußern, ihrer Persönlichkeit, ihrer selbst willen, mit einem Worte nach allen Beziehungen hin, in denen sie mir theuer sein konnte. Auch wähne man nicht, daß sie wegen der zehn oder zwölf Jahre, die ich jünger war als sie, im Vergleich zu mir alt gewesen oder mir so vorgekommen wäre. In den fünf oder sechs Jahren, seitdem mich ihr erster Anblick in so großes Entzücken versetzt, hatte sie sich in Wahrheit wenig verändert und ich hatte gar keine Veränderung wahrgenommen. Für mich ist sie stets reizend gewesen und war es damals noch für alle Welt. Ihre Taille allein war etwas umfangreicher geworden. Sonst aber war es noch immer dasselbe Auge, dieselbe Gesichtsfarbe, derselbe Busen, dieselben Züge, dieselben schönen blonden
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