Rousseau's Bekenntnisse
Soldatenstande; in reiferen Jahren kehrt er zurück, um daheim einen friedlichen Lebensabend zu genießen. Diese lange bestehende Gewohnheit wird von der Ehre und der Vernunft in gleicher Weise bedingt. Die Frauen sind schön und würden die Schönheit nicht nöthig haben, da sie alles besitzen, was dieselbe hervorhebt und sie sogar ersetzt. Es ist eigentümlich, daß ich, durch meinen Beruf genöthigt, mit vielen Mädchen zu verkehren, mich nicht erinnere, in Chambery auch nur eine einzige gesehen zu haben, welche nicht reizend war. Man wird einwenden, ich hätte sie so finden wollen, und man hat vielleicht Recht; aber ich brauchte ihnen nicht erst besondere Schönheiten anzudichten. Ich kann wirklich nicht ohne Freude an meine jungen Schülerinnen zurückdenken. Weshalb kann ich nicht, wenn ich hier der liebenswürdigsten Erwähnung thue, sie und mich selber mit ihnen in das glückliche Alter zurückversetzen, in welchem wir damals standen, mit seinen eben so süßen wie unschuldigen Augenblicken, die ich an ihrer Seite verlebt habe! Die erste war Fräulein von Mellarede, meine Nachbarin, Schwester der Schülerin des Herrn Gaime. Sie war eine sehr lebhafte Brünette, aber von einer angenehmen und liebenswürdigen Lebhaftigkeit, voller Anmuth und sehr sittsam. War sie auch gleich den meisten Mädchen ihres Alters ein wenig mager, so bedurften doch ihre leuchtenden Augen, ihr feiner Wuchs, ihr fesselndes Wesen nicht der Fülle, um zu gefallen. Ich ging des Morgens zu ihr, und sie befand sich gewöhnlich noch im Hauskleide. Ihre nachlässig aufgesteckten Haare schmückte sie bei meiner Ankunft nur mit einigen Blumen, die sie nach meinem Weggehen wieder wegnahm, um sich zu frisiren. Nichts in der Welt fürchte ich so sehr als ein Mädchen im Morgenkleide, geputzt würde ich sie hundertmal weniger fürchten. Fräulein von Menthon, zu der ich nachmittags ging, war es stets und machte auf mich einen zwar eben so angenehmen, aber doch ganz verschiedenartigen Eindruck. Die Haare der jungen Dame waren aschblond; sie war sehr niedlich, sehr schüchtern und sehr blaß; ihre Stimme war schön und weich, eine wahre Flötenstimme, aber sie hatte nicht den Muth, sie in ihrem ganzen Umfange zur Geltung zu bringen. Am Busen hatte sie eine Narbe, die von einer durch kochendes Wasser hervorgerufenen Brandwunde herrührte und von einem blauseidenen Halstuche nicht allzu ängstlich verhüllt wurde. Dieses Mal zog bisweilen meine Aufmerksamkeit auf sich, die bald nicht allein der Narbe galt. Fräulein von Challes, eine andere meiner Nachbarinnen, war ein schon vollkommen entwickeltes Mädchen, groß, eine stattliche Erscheinung von runden Formen und üppiger Fülle; sie war sehr hübsch gewesen. Jetzt war sie keine Schönheit mehr, aber sie war noch immer eine durch ihre Anmuth, ihre stets gleiche Fröhlichkeit und ihren liebenswürdigen Charakter anziehende Persönlichkeit. Ihre Schwester, Frau von Charly, die schönste Frau in Chambery, lernte nicht mehr Musik, ließ jedoch ihre noch ganz junge Tochter darin unterrichten, deren aufblühende Schönheit der der Mutter einst gleichzukommen versprochen hätte, wäre sie nicht leider ein wenig rothhaarig gewesen. Auch im Kloster der Heimsuchung hätte ich eine kleine Französin, deren Namen ich vergessen habe, die aber eine Stelle in dem Verzeichnisse meiner Lieblingsschülerinnen verdient. Sie hatte den langsamen und schleppenden Ton der Nonnen angenommen, und in diesem schleppenden Tone sagte sie überaus witzige Dinge, die mit ihrem sonstigen Auftreten gar nicht in Einklang zu stehen schienen. Im Uebrigen war sie träge, gab sich nicht gern Mühe, ihren Geist leuchten zu lassen und erwies nicht einem jeden diese Gunst. Erst nach einem ein- oder zweimonatlichen Unterrichte, den ich ihr nicht mit großer Pünktlichkeit ertheilt hatte, ersann sie dieses Mittel, um mich pünktlicher zu machen, denn ich habe es nie über mich gewinnen können, es zu sein. War ich mitten im Unterrichte, so hatte ich Freude daran, aber ich wollte von dem Zwange nichts wissen, mich mit dem Glockenschlage hin zu begeben; Zwang und Gebundenheit sind mir eben in allen Dingen unerträglich, sie könnten mir gegen das Vergnügen selber Haß einflößen. Bei den Mohamedanern soll bei Tagesanbruch ein Mann durch die Straßen gehen, um den Ehemännern zu befehlen, ihre eheliche Pflicht bei ihren Frauen auszuüben. Ich würde in diesen Stunden ein schlechter Türke sein. Auch aus der Bürgerschaft hatte ich einige
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