Rousseau's Bekenntnisse
begehren. Ich erhielt ihn trotzdem. Zum ersten Male sah ich mich in den Armen einer Frau, und zwar einer Frau, die ich anbetete. War ich glücklich? Nein, ich genoß nur die Sinnenlust. Ich weiß nicht, welche unüberwindliche Traurigkeit mir den Reiz derselben vergiftete; mir war zu Muthe, als hätte ich eine Blutschande begangen. Zwei- oder dreimal benetzte ich, indem ich sie wonnetrunken in meine Arme drückte, ihren Busen mit meinen Thränen. Sie dagegen war weder traurig noch leidenschaftlich, sie war zärtlich und ruhig. Da sie wenig sinnlich war und nicht die Befriedigung der Wollust bezweckt hatte, genoß sie nicht ihre Wonne und brauchte nie Reue über sie zu empfinden.
Ich wiederhole es: alle ihre Fehler rührten von ihren Irrthümern, nie von ihren Leidenschaften her. Sie war von guter Herkunft, ihr Herz war rein, sie liebte die Sittsamkeit, ihre Neigungen waren redlich und tugendhaft, ihr Geschmack war fein; sie war zur Sittenreinheit geschaffen, die sie stets geliebt, aber nie gezeigt hat, weil sie nicht auf ihr Herz hörte, welches sie richtig leitete, sondern auf ihre Vernunft, die sie irre leitete. Wenn falsche Grundsätze sie auf Abwege führten, so standen ihre wahren Gefühle mit ihnen doch stets in Widerspruch; aber leider that sie sich etwas auf ihre Philosophie zu Gute, und die Moral, die sie sich selbst gemacht hatte, verdarb die, welche ihr ihr Herz eingab.
Herr von Tavel, ihr erster Liebhaber, war ihr Lehrer in der Philosophie, und die Grundsätze, die er ihr beibrachte, waren solche, die er zu ihrer Verführung nöthig hatte. Da er fand, daß sie ihrem Manne und ihren Pflichten ergeben, immer kalt, nachsinnend und durch Erregung der Sinnlichkeit nicht zu gewinnen war, ging er darauf aus, sie durch Sophismen zu gewinnen und es gelang ihm auch, ihr die Pflichten, denen sie so treu nachkam, als reines Katechismusgeschwätz darzustellen, nur zur Unterhaltung von Kindern ersonnen; die Vereinigung der Geschlechter als einen an sich ganz gleichgültigen Akt; die eheliche Treue als eine Scheinverpflichtung, deren ganzer sittlicher Sinn nur die öffentliche Meinung im Auge hätte; die Ruhe der Ehegatten als die einzige Richtschnur für die Pflicht der Frauen, so daß eine Untreue, die verschwiegen bliebe, für den, welchem sie die Treue brächen, sowie für das Gewissen nichts zu bedeuten hatte; kurz, er redete ihr ein, daß die Sache an sich nichts wäre, daß sie erst durch das Aufsehen etwas würde, und daß jede Frau, die keusch schiene, es schon dadurch allein in Wahrheit wäre. Auf diese Weise erreichte der Elende sein Ziel, indem er die Vernunft eines Kindes irre leitete, dessen Herz er nicht hatte verführen können. Er wurde durch die verzehrendste Eifersucht bestraft, überzeugt, daß sie ihn selbst so behandelte, wie er sie ihren Mann zu behandeln gelehrt hatte. Ich weiß nicht, ob er sich in diesem Punkte irrte. Der Prediger Perret galt für seinen Nachfolger. Ich weiß nur, daß das kalte Temperament dieser jungen Frau, welches sie vor diesen Ansichten hätte schützen sollen, sie gerade in der Folge davon abhielt, dieselben wieder aufzugeben. Sie konnte nicht begreifen, daß man einem Akte so viele Bedeutung beilegte, der für sie gar keine hatte. Sie beehrte eine Enthaltsamkeit, die ihr so wenig kostete, nie mit dem Namen Tugend.
Für sich selbst hatte sie also mit ihrem falschen Grundsatze wenig Mißbrauch getrieben, wohl aber für andere, und dies aus einer anderen, fast eben so unrichtigen Maxime, die jedoch mit ihrem guten Herzen in besserem Einklange stand. Sie war stets der Ansicht, daß nichts einen Mann so sehr an eine Frau fessele als der Besitz, und obgleich sie ihren Freunden nur in Freundschaft zugethan war, so war diese doch so zärtlich, daß sie alle in ihrer Macht stehenden Mittel anwandte, um sie noch fester an sich zu ketten, und merkwürdig genug, gelang ihr das fast immer. Sie war so wahrhaft liebenswürdig, daß man, je größer die Vertraulichkeit war, in der man mit ihr lebte, nur desto mehr neue Gründe fand, sie zu lieben. Eben so bemerkenswerth ist der Umstand, daß sie nach ihrer ersten Schwäche fast nur noch Unglücklichen ihre Gunst zugewandt hat. Männer in glänzenden Verhältnissen haben sich sämmtlich vergebens um sie bemüht; aber ein Mann, den sie erst zu bedauern begann, mußte sehr wenig liebenswürdig sein, wenn sie nicht damit enden sollte, ihn zu lieben. Kam es vor, daß die getroffene Wahl ihrer nicht ganz würdig war, so trugen nicht etwa
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