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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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schönen Helena oder den Thron des Weltalls gehandelt. Zuerst die Frauen. Wenn ich eine besaß, so waren meine Sinne zwar ruhig, aber mein Herz war es nie. Mitten im Genusse verzehrte mich das Bedürfnis nach Liebe. Ich hatte eine zärtliche Mutter, eine theure Freundin, aber ich hatte eine Geliebte nöthig. Ich stellte mir diese an ihrer Stelle vor; ich rief mir, um mich selbst zu täuschen, ihr Bild unter tausenderlei Gestalten vor die Seele. Hätte ich mich, wenn ich Mama umarmte, dem Gedanken hingegeben, sie selbst in den Armen zu halten, so würden meine Umarmungen zwar nicht weniger lebhaft gewesen sein, aber all mein Verlangen wäre erloschen; ich hätte vor Zärtlichkeit geschluchzt, aber nicht genossen. Genießen! Ist der Mensch denn zum Genusse geschaffen? Ach, hätte ich alle Wonnen der Liebe je auch nur ein einziges Mal in meinem Leben in ihrer ganzen Fülle gekostet, ich glaube nicht, daß meine schwächliche Natur sie hätte aushalten können; ich wäre auf der Stelle gestorben.
    Ich glühte also vor Liebe ohne Gegenstand, und vielleicht erschöpft sie auf diese Weise am meisten. Ich war unruhig, gequält durch die üble Lage der Verhältnisse meiner armen Mutter und durch ihre unkluge Wirtschaft, die ihren völligen Untergang in kurzer Zeit hervorrufen mußte. Meine unerträgliche Phantasie, die dem Unglück immer zuvoreilt, zeigte ihn mir unaufhörlich in seiner ganzen Furchtbarkeit und allen seinen Folgen. Ich sah mich schon im voraus durch die bittre Noth gewaltsam von der getrennt, der ich mein Leben geweiht und ohne die ich keine Freude am Dasein hatte. So war mein Gemüth in fortwährender Aufregung; Verlangen und Furcht verzehrten mich abwechselnd.
    Die Musik war bei mir eine andere, zwar weniger heftige, aber nicht weniger verzehrende Leidenschaft wegen der Glut, mit der ich mich ihr hingab, wegen des beharrlichen Studiums der dunklen Werke Rameaus, wegen meiner unbezwinglichen Hartnäckigkeit, mein Gedächtnis mit dem, was ihm stets widerstrebte, zu belasten, wegen meiner fortwährenden Ausflüge und meiner unzähmbaren Sucht, wahre Berge von Musikalien zu sammeln, die mich antrieb oft ganze Nächte lang Noten abzuschreiben. Allein weshalb soll ich bei den fortdauernden Zuständen stehen bleiben, da alle Thorheiten, die durch meinen unbeständigen Kopf gingen, die flüchtigen Neigungen eines einzigen Tages, eine Reise, ein Concert, ein Abendessen, ein beabsichtigter Spaziergang, die Lectüre eines Romans, der Besuch einer Theatervorstellung, alles, was bei meinen Vergnügungen oder Geschäften in keiner Weise vorher bedacht war, für mich eben so heftige Leidenschaften wurden, die mir in ihrer lächerlichen Glut die größte Pein bereiteten? Die Lectüre der erdichteten Leiden Clevelands, über die ich gierig herfiel und oft unterbrechen mußte, hat mir, wie ich glaube, mehr schlechtes Blut gemacht, als meine eigenen.
    In Chambery lebte ein Genfer, Namens Bagueret, der unter Peter dem Großen eine Anstellung am russischen Hofe gehabt hatte, einer der elendesten Menschen und größten Narren, die ich je kennen gelernt habe, stets voller Pläne, die eben so toll waren wie er selbst. Er streute die Millionen nur so um sich her und ging mit den Nullen sehr freigebig um. Dieser Mensch, den ein beim höchsten Gerichte gegen ihn anhängig gemachter Proceß hierher getrieben hatte, bemächtigte sich selbstverständlich Mamas und preßte ihr für seine Schätze an Nullen, die er mit verschwenderischer Großmuth über sie ausschüttete, ihre wenigen Thaler Stück für Stück ab. Ich liebte ihn nicht, er bemerkte es, denn bei mir ist das nicht schwer zu erkennen, und nun gab es keine Art Kriecherei, die er nicht aufbot, mir zu schmeicheln. Er kam auf den Gedanken, mich im Schachspiel zu unterrichten, welches er ein wenig verstand. Ich machte fast wider Willen einen Versuch es zu lernen, und als ich erst die Züge der Figuren zur Noth begriffen hatte, machte ich so schnelle Fortschritte, daß ich ihm noch vor Ende der ersten Sitzung einen Thurm vorgab, den er mir am Anfange vorgegeben hatte. Mehr war bei mir nicht nöthig. Ich vergaß alles über das Schach. Ich kaufe ein Schachbrett, kaufe die Figuren, schließe mich in mein Zimmer ein, bringe Tage und Nächte damit zu, alle Züge auswendig zu lernen, sie wohl oder übel meinem Kopfe einzutrichtern und fort und fort allein zu spielen. Nach zwei oder drei Monaten dieser allerliebsten Arbeit und ganz undenkbarer Anstrengungen gehe ich abgemagert, gelb und

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