Rousseau's Bekenntnisse
Waffen griff, sah ich bei meinem Aufenthalte in Genf Vater und Sohn bewaffnet aus demselben Hause kommen, der eine, um nach dem Rathhause, der andere, um nach seinem Sammelplatz zu eilen, sicher, sich zwei Stunden später einander gegenüber zu stehen, und der Gefahr ausgesetzt, einander zu tödten. Dieses entsetzliche Schauspiel machte auf mich einen so tiefen Eindruck, daß ich schwor, nie an einem Bürgerkriege Theil zu nehmen und die innere Freiheit nie mit den Waffen zu behaupten, weder mit meiner Person noch mit meiner Billigung, wenn ich je wieder in mein Bürgerrecht eintreten sollte. Ich kann mir das Zeugnis ausstellen, daß ich diesen Schwur bei einer sehr bedenklichen Gelegenheit gehalten habe, und man wird mir, wie ich glaube, zugeben, daß in meiner Mäßigung etwas Verdienstliches lag.
Aber damals befand ich mich noch nicht in dieser ersten patriotischen Gährung, welche das unter Waffen stehende Genf in meinem Herzen erregte. Wie weit ich noch davon entfernt war, kann man einer sehr ernsten Thatsache entnehmen, die mir zur Last fällt. Ich habe sie an der richtigen Stelle zu berichten vergessen und hole sie hier nach, da sie hier nicht übergangen werden darf.
Mein Oheim Bernard war vor einigen Jahren nach Carolina übersiedelt, um dort den Bau der Stadt Charleston zu leiten, zu dem er den Plan entworfen hatte; kurz darauf war er dort gestorben. Mein armer Vetter war ebenfalls im Dienste des Königs von Preußen gestorben, und meine Tante verlor so ihren Mann und ihren Sohn fast zu gleicher Zeit. Diese Verluste belebten wieder ein wenig ihre Freundschaft für den nächsten Verwandten, der ihr in meiner Person geblieben war. So oft ich nach Genf ging, wohnte ich bei ihr und unterhielt mich damit, die Bücher und Papiere, welche mein Oheim hinterlassen hatte, zu durchfliegen und zu durchblättern. Ich fand unter ihnen viele merkwürdige Dinge und Briefe, die man sicherlich nicht vermuthet hätte. Meine Tante, welche auf diese Papiere wenig Werth legte, hätte sie mir, wenn ich den Wunsch ausgesprochen, sämmtlich gern überlassen. Ich begnügte mich mit zwei oder drei Büchern, welche Glossen und Zusätze von der eigenen Hand meines Großvaters, des Pfarrers Bernard, enthielten. Unter andern eignete ich mir die hinterlassenen Werke von Rochault in Quartformat an, die voll trefflicher Randbemerkungen waren, welche mir Lust und Liebe zur Mathematik einflößten. Dieses Buch ist unter denen der Frau von Warens zurückgeblieben; es hat mir stets Leid gethan, es nicht behalten zu haben. Außer diesen Büchern nahm ich noch fünf oder sechs handschriftliche Abhandlungen und eine einzige gedruckte von dem bekannten Micheli Ducret, einem sehr geistreichen, gelehrten und aufgeklärten, aber zu unruhigen Manne, der von dem Genfer Rathe eine höchst grausame Behandlung zu erdulden hatte. Er war unlängst in der Festung Arberg gestorben, wo er lange Jahre eingesperrt gewesen, weil er in die Berner Verschwörung verwickelt sein sollte.
Diese Abhandlung war eine sehr verständige Kritik jenes großen und lächerlichen Befestigungsplanes, den man in Genf theilweise ausgeführt hat, zum großen Gelächter der Fachleute, welche den geheimen Zweck nicht kennen, den der Rath bei der Ausführung dieses großartigen Unternehmens verfolgte. Weil Micheli wegen seines über diesen Plan ausgesprochenen Tadels von der Befestigungscommission ausgeschlossen worden war, hatte er geglaubt, als Mitglied der Zweihundert und schon als einfacher Bürger seine Ansicht darüber noch ausführlicher begründen zu dürfen, und das that er eben in dieser Abhandlung, die er unklugerweise hatte drucken, wenn auch nicht veröffentlichen lassen, denn er ließ nur die für die Zweihundert nöthigen Exemplare abziehen, welche jedoch auf Befehl des kleinen Raths auf der Post sämmtlich mit Beschlag belegt wurden. Diese Abhandlung nun fand ich unter den Papieren meines Oheims nebst der Erwiderung, welche er gegen sie abzufassen beauftragt worden war, und ich nahm die eine wie die andere an mich. Ich hatte diese Reise kurz nach meinem Austritt aus dem Kataster unternommen und war mit dem Advokaten Coccelli, welcher die Leitung desselben hatte, in einiger Verbindung geblieben. Einige Zeit darauf hatte der Director des Zollamts die Liebenswürdigkeit, mich zum Pathen seines Kindes zu wählen, und gab mir Frau Coccelli zur Mitgevatterin. Diese Ehrenerweisungen verdrehten mir den Kopf, und stolz, mit dem Herrn Advokaten in so naher Verbindung zu stehen,
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