Rousseau's Bekenntnisse
bezaubert war, nachzuahmen. [Fußnote: Diese oft wiederholte Huldigung ist die beste Antwort, welche ich denen geben kann, die behaupten, Jean Jacques wäre auf Voltaire eifersüchtig gewesen.] Einige Zeit darauf erschienen seine philosophischen Briefe. Obgleich sie sicherlich nicht sein bestes Werk sind, war es doch das, welches mich am meisten zum Studium zog, und diese wachsende Neigung erlosch seit jener Zeit nicht mehr.
Aber der Augenblick war noch nicht gekommen, mich ihr gänzlich zu überlassen. Es blieb mir noch immer eine gewisse Flatterhaftigkeit, ein Verlangen zu gehen und zu kommen, welches zwar abgenommen hatte, aber nicht völlig unterdrückt war und durch das Leben im Hause der Frau von Warens, das für meinen Hang zur Einsamkeit zu geräuschvoll war, immer neue Nahrung erhielt. Diese Menge unbekannter Leute, die täglich von allen Seiten herbeiströmten, und meine feste Ueberzeugung, daß sie sie nur, ein jeder auf seine Weise, zu betrügen suchten, machten mir meine Wohnung zur wahren Qual. Seitdem ich Claude Anets Nachfolger im Vertrauen seiner Herrin war, verfolgte ich den Stand ihrer Verhältnisse näher und gewahrte einen Fortschritt zum Schlimmern, der mich mit Schrecken erfüllte. Hundertmal hatte ich ihr Vorstellungen gemacht, sie gebeten, gedrängt, beschworen und immer vergebens. Ich hatte mich ihr zu Füßen geworfen, hatte sie in klaren Worten auf die Katastrophe hingewiesen, hatte sie dringend ermahnt, ihre Ausgaben zu beschränken und mit mir dabei den Anfang zu machen, hatte sie gebeten, lieber jetzt, wo sie noch jung wäre, sich an geringe Entbehrungen zu gewöhnen, als sich bei dem steten Anwachsen ihrer Schulden und ihrer Gläubiger in ihren alten Tagen den lästigen Forderungen derselben und der Noth auszusetzen. Ergriffen von der Aufrichtigkeit meines Eifers, wurde sie eben so gerührt wie ich und machte mir die schönsten Versprechungen von der Welt. Aber bei dem Erscheinen des ersten besten Lumpen war alles wieder vergessen. Was blieb mir nach tausend Beweisen der Vergeblichkeit meiner Vorstellungen schließlich übrig, als die Augen von dem Uebelstand abzuwenden, den ich nicht zu verhüten im Stande war. Ich entfernte mich aus dem Hause, dessen Thür ich nicht hüten konnte; ich machte kleine Reisen nach Nyon, nach Genf, nach Lyon, auf denen ich mir zwar meinen geheimen Kummer aus dem Sinne schlug, aber durch meine Ausgaben doch zugleich den Grund zu demselben vergrößerte. Ich kann beschwören, ich hätte mit Freuden ganz auf sie verzichtet, wenn Mama von der dadurch erzielten Ersparnis wirklichen Nutzen gehabt hätte; aber dessen gewiß, daß alles, was ich mir entzog, nur Gaunern zu Gute kam, mißbrauchte ich ihre Schwäche, um mit ihnen zu theilen, und wie der Hund, der aus dem Schlachthaus kommt, schleppte ich von dem Bissen, den ich nicht hatte retten können, meinen Knochen hinweg.
An Vorwänden für alle diese Reisen fehlte es mir nicht und schon Mama allein hätte mir hinreichende an die Hand gegeben, so viele geschäftliche Verbindungen, Unterhandlungen, Angelegenheiten und Aufträge hatte sie überall, deren Regelung nur einer zuverlässigen Persönlichkeit anvertraut werden konnte. Sie hatte nur immer Lust mich auszusenden, ich nur immer Lust zu reisen, was natürlich ein reges Wanderleben zur Folge haben mußte. Diese Reisen gaben mir Gelegenheit, einige gute Bekanntschaften zu machen, welche mir später angenehm oder nützlich waren, unter andern zu Lyon die des Herrn Perrichon, die ich im Hinblick auf die Güte, welche er mir bewies, bedauere nicht genug gepflegt zu haben; die des ehrlichen Parisot, von dem ich seiner Zeit reden werde; in Grenoble die der Frau Deybens und die der Frau Präsident von Bordonanche, einer sehr geistreichen Frau, die mir ihre Freundschaft geschenkt haben würde, wenn ich sie öfter hätte besuchen können; in Genf die des Herrn von La Closure, des französischen Geschäftsträgers, der mir oft von meiner Mutter erzählte, die sein Herz trotz ihres Todes und der Jahre noch immer nicht hätte vergessen können; die der beiden Barillot, von denen der Vater, der mich seinen Enkel nannte, im Umgange äußerst liebenswürdig und überhaupt einer der würdigsten Männer war, die ich je gekannt habe. Während der Unruhen in der Republik warfen sich diese beiden Bürger in die beiden sich einander feindlich gegenüberstehenden Parteien, der Sohn in die der Bürgerschaft, der Vater in die der Regierung; und als man im Jahre 1737 zu den
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