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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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fast stumpfsinnig nach dem Kaffeehause. Ich mache einen neuen Versuch und spiele wieder mit Herrn Bagueret; er besiegt mich einmal, zweimal, zwanzigmal; in meinem Kopfe hatten sich die vielen Berechnungen dergestalt verwirrt und meine Einbildungskraft war so erloschen, daß ich nur noch eine Wolke vor mir sah. So oft ich mich nach den Büchern Philidors oder Stamma's auf einzelne Züge habe einüben wollen, ist es mir in gleicher Weise ergangen; von Ermüdung erschöpft, fühlte ich mich schwächer als vorher. Ob ich übrigens das Schach eine Zeit lang ruhen ließ oder es mit Leidenschaft spielte, so bin ich doch seit dieser ersten Sitzung nie einen Schritt weiter gekommen, und ich habe mich stets auf demselben Punkte befunden, auf dem ich stand, als ich sie beendete. Und wenn ich mich Tausende von Jahrhunderten übte, würde ich es doch nie weiter bringen, als Bagueret einen Thurm vorgeben zu können. Das ist eine herrliche Anwendung der Zeit, wird man sagen. Ei ja, ich habe nicht wenig darauf verwendet. Ich endete diesen ersten Versuch erst, als ich nicht mehr die Kraft besaß ihn fortzusetzen. Als ich wieder aus meinem Zimmer unter die Menschen kam, hatte ich das Aussehen eines Ausgegrabenen, und hätte ich es so fortgetrieben, wäre ich nicht lange als ein Ausgegrabener umhergewandelt. Es ist, wie man zugeben wird, schwer, und zumal in der Zeit der vollsten Jugendkraft schwer, daß ein solcher Charakter den Körper stets in gesundem Zustande läßt.
    Die Abnahme meiner Gesundheit wirkte auf meine Laune und mäßigte die Glut meiner Hirngespinste. Da ich mich schwächer fühlte, wurde ich ruhiger und verlor ein wenig meine Reisewuth. Häuslicher geworden, wurde ich nicht von Langeweile, sondern von Schwermuth erfaßt. Krankhafte Launen folgten auf die Leidenschaften; meine Abgespanntheit ging in Trübsinn über; ich weinte und stöhnte über nichts, ich fühlte mein Leben dahin schwinden, ohne es genossen zu haben; ich seufzte über den Zustand, in dem ich meine arme Mama lassen würde, über den, in welchen ich sie im Begriffe sah zu versinken; mein einziger Kummer war, wie ich dreist behaupten kann, sie in dem Augenblicke verlassen zu müssen, wo sie am beklagenswerthesten war. Endlich wurde ich ernstlich krank. Sie pflegte mich, wie nie eine Mutter ihr Kind gepflegt hat, und das war für sie selbst gut, da sie dadurch von ihren Entwürfen abgelenkt und von den Projectenmachern fern gehalten wurde. Welch ein süßer Tod, wäre er damals eingetreten! Hatte ich wenig von den Gütern des Lebens genossen, so hatte ich doch auch wenig von den Uebeln, die es mit sich bringt, erduldet. Meine friedliche Seele konnte ruhig heimgehen ohne alle Bitterkeit über die Ungerechtigkeit der Menschen, die das Leben und den Tod vergiftet. Ich hatte den Trost, mich in der bessern Hälfte meines Selbst zu überleben; das hieß kaum sterben. Ohne die Unruhe, die mir ihr Schicksal einflößte, wäre mein Tod ein ruhiges Hinüberschlummern gewesen, und selbst diese Unruhe hatte einen rührenden und zärtlichen Gegenstand, der ihre Bitterkeit milderte. Ich sagte zu ihr: »Mein ganzes Sein lege ich in deine Hand; handle so, daß es glücklich ist!« Zwei- oder dreimal, als ich mich am schlimmsten befand, litt es mich nicht länger im Bette, ich erhob mich des Nachts und schleppte mich in ihre Kammer, um ihr Rathschläge über ihre Handlungsweise zu geben, die, wie ich wohl sagen darf, richtig und vernünftig waren, und in denen sich der Antheil, den ich an ihrem Schicksale nahm, deutlicher zeigte, als alles andere. Als wären die Thränen meine Nahrung und mein Heilmittel gewesen, gewann ich Kraft durch die, welche ich, auf ihrem Bette sitzend und ihre Hände in den meinigen haltend, bei ihr und mit ihr weinte. Die Stunden flogen in diesen nächtlichen Unterredungen dahin, und ich kehrte in besserem Befinden, als ich gekommen war, von ihnen zurück. Zufrieden und durch ihre Versprechungen wie durch die Hoffnungen, die sie in mir erweckt, beruhigt, schlief ich ein mit Frieden im Herzen und voll Ergebung in die Vorsehung. Wolle Gott, daß nach so vielen Ursachen das Leben zu hassen, nach so vielen Stürmen, die das meinige bewegt und es mir zur Last gemacht haben, der Tod, der ihm ein Ende machen wird, mir ein eben so wenig grausamer sei, als er es mir in jenen Augenblicken gewesen wäre.
    Durch ihre Pflege, Wachsamkeit und unglaubliche Mühe rettete sie mich, und es ist sicher, daß sie allein mich retten konnte. Ich habe wenig Vertrauen

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