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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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suchte ich mir einen Anstrich von Wichtigkeit zu geben, um mich dieser Ehre würdig zu zeigen.
    Von diesem Gedanken ausgehend, glaubte ich nichts Besseres thun zu können, als ihm Micheli's gedruckte Abhandlung, welche wirklich eine Seltenheit war, zum Zeugnisse dafür vorzuweisen, daß ich mit den angesehensten Genfer Bürgern, welchen die Staatsgeheimnisse bekannt wären, in Verbindung stände. Mit einer halben Zurückhaltung, die ich schwerlich zu erklären im Stande wäre, zeigte ich ihm indessen nicht die Erwiderung meines Oheims gegen diese Abhandlung, vielleicht weil sie nur handschriftlich vorhanden war, und bei dem Herrn Advokaten nur Gedrucktes Anerkennung fand. Er erkannte jedoch den Werth des Schriftstückes, welches ich die Dummheit hatte ihm anzuvertrauen, so gut, daß ich es nie zurückerhalten oder auch nur wieder zu Gesicht bekommen konnte. Vollkommen von der Vergeblichkeit meiner Bemühungen überzeugt, machte ich mir deshalb ein Verdienst daraus, das Gestohlene in ein Geschenk zu verwandeln. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß er versucht hat, sich mit dieser mehr merkwürdigen als werthvollen Schrift am Turiner Hofe Ansehen zu erwerben, und große Mühe aufgewandt hat, sich auf eine oder die andere Weise Ersatz für das Geld zu verschaffen, welches ihm die Auftreibung desselben gekostet haben mußte. Glücklicherweise ist von allem, was im Schooße der Zukunft liegen kann, es am allerwenigsten wahrscheinlich, daß der König von Sardinien eines Tages Genf belagern werde. Da es jedoch nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, werde ich meiner albernen Eitelkeit stets vorzuwerfen haben, daß ich die schwächsten Stellen dieses Platzes seinem ältesten Feinde aufgedeckt habe.
    Auf diese Weise verlebte ich zwei oder drei Jahre zwischen Musik, Gesangstunden, Plänen und Reisen, unaufhörlich von einem zum andern schwankend mit dem lebhaften Wunsche, mich zu Einem zu entschließen, ohne zu wissen wozu, aber endlich doch nach und nach zum Studium hingezogen, da ich mit Schriftstellern verkehrte, von Literatur reden hörte und bisweilen selbst mit hinein zu reden wagte, wobei ich mir freilich mehr die äußere Einkleidung der Bücher als die Kenntnis ihres Inhalts zu eigen machte. Auf meinen Genfer Reisen besuchte ich im Vorübergehen von Zeit zu Zeit meinen alten lieben Freund Simon, welcher meinen Drang und Eifer mit den allerneusten Berichten aus der Gelehrtenrepublik nährte, die er aus Baillet oder Colamie's schöpfte. Auch verkehrte ich in Chambery viel mit einem Jakobiner, einem Lehrer der Physik und höchst gutmüthigen Mönche, dessen Namen ich vergessen habe. Er machte oft kleine Experimente, die mir außerordentliche Freude machten. Ich wollte sein Beispiel befolgen und nach Anleitung von Ozanams »Mathematischen Belustigungen« sympathetische Tinte machen. Nachdem ich zu diesem Zwecke eine Flasche mehr als zur Hälfte mit ungelöschtem Kalk, Schwefelarsenik und Wasser gefüllt hatte, pfropfte ich sie fest zu. Die Gährung trat fast augenblicklich mit großer Heftigkeit ein. Ich lief nach der Flasche hin, um sie zu öffnen, war aber nicht schnell genug da; wie eine Bombe sprang sie mir ins Gesicht. Ich mußte Schwefelarsenik und Kalk hinunterwürgen, und wäre daran fast gestorben. Länger als sechs Wochen blieb ich blind und lernte auf diese Weise, mich nicht mit Experimentalphysik zu befassen, ohne ihre Anfangsgründe zu kennen.
    Im Hinblick auf meinen Gesundheitszustand, der seit einiger Zeit merklich schlechter wurde, stieß mir dieser Unfall sehr zur Unzeit zu. Ich weiß nicht, woher es kam, daß ich trotz meiner kräftigen Statur und Vermeidung jeglicher Ausschweifung zusehends abnahm. Ich habe eine umfangreiche breite Brust, die meiner Lunge genügenden Spielraum gewähren muß; nichtsdestoweniger hatte ich kurzen Athem, fühlte mich bedrückt, seufzte unwillkürlich, litt an Herzklopfen, spuckte Blut und bekam das schleichende Fieber, das ich nie wieder verloren habe. Wie kann man in der Blüte der Jahre, ohne einen organischen Fehler, ohne durch eigene Schuld die Gesundheit zerstört zu haben, in einen solchen Zustand verfallen?
    Der Degen nutzt die Scheide ab, pflegt man zu sagen. Das ist meine Geschichte. Meine Leidenschaften haben mir Lebenskraft gegeben und meine Leidenschaften haben mich getödtet. Was für Leidenschaften? wird man fragen. Nichtigkeiten, die kindischsten Sachen von der Welt, die mich aber in eine Aufregung versetzten, als hätte es sich um den Besitz der

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