Rousseau's Bekenntnisse
Arbeiten in Anspruch nahmen, denn diese hatten stets den Vorzug, und in allem, was nicht über meine Kräfte ging, arbeitete ich wie ein Landmann; aber meine damalige ungemeine Schwäche ließ mir freilich in dieser Beziehung kaum ein anderes Verdienst als das des guten Willens. Ueberdies wollte ich zwei Arbeiten auf einmal verrichten und verrichtete folglich keine gut. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, mir ein gutes Gedächtnis zu erzwingen, und bestand eigensinnig darauf, viel auswendig zu lernen. Zu dem Zwecke trug ich irgend ein Buch bei mir, das ich während der Arbeit mit einer unglaublichen Mühe studirte und wieder und wieder las. Ich begreife nicht, wie die Beharrlichkeit in diesen vergeblichen und unausgesetzten Anstrengungen mich nicht schließlich ganz dumm gemacht hat. Die Eklogen Virgils, von denen ich keine Sterbenssilbe mehr weiß, habe ich wohl zwanzigmal gelernt und von neuem gelernt. In Folge der Gewohnheit, Bücher überall hin mitzunehmen, auf den Taubenschlag, in den Gemüsegarten, in den Obstgarten, in den Weinberg, habe ich eine große Anzahl derselben ganz oder theilweise verloren. Mit etwas anderem beschäftigt, legte ich mein Buch mittlerweile unter einen Baum oder auf eine Hecke; allenthalben vergaß ich es wieder aufzunehmen und oft fand ich es nach vierzehn Tagen verdorben oder von Ameisen und Schnecken zernagt. Dieser Lerneifer artete zu einer Sucht aus, die mich wie stumpfsinnig machte, so beschäftigt war ich beständig, etwas zwischen den Zähnen herzumurmeln.
Die Schriften von Port-Royal und vom Oratorium, die ich am häufigsten las, hatten mich zu einem halben Jansenisten gemacht, und trotz meines vollen Gottvertrauens setzte mich bisweilen ihre strenge Religion in Angst. Die Furcht vor der Hölle, die mich bisher sehr wenig beunruhigt hatte, schreckte mich allmählich aus meiner Sicherheit auf, und hätte mich Mama nicht wieder beruhigt, so würde mich diese entsetzliche Lehre endlich in die qualvollste Aufregung versetzt haben. Mein Beichtvater, der gleichzeitig der ihrige war, trug seinerseits dazu bei, mich in der richtigen Gemüthsverfassung zu erhalten. Es war der Pater Hemet, ein Jesuit, ein guter und verständiger Greis, dessen Andenken ich stets in Ehren halten werde. Obgleich ein Jesuit, hatte er die Einfalt eines Kindes, und seine mehr milde als schlaffe Moral, war gerade das, was ich als Gegengewicht gegen die düstern Eindrücke des Jansenismus nöthig hatte. Dieser gutmüthige Mann und sein Gefährte, der Pater Coppier, besuchten uns oft in Charmettes, obwohl der Weg sehr beschwerlich und für Leute ihres Alters ziemlich weit war. Ihre Besuche brachten mir viel Gutes; möge Gott es ihren Seelen vergelten, denn sie waren damals schon zu alt, als daß ich annehmen könnte, sie seien noch am Leben. Ich besuchte sie ebenfalls in Chambery und wurde bei ihnen nach und nach ein gern gesehener Hausfreund; ihre Bibliothek stand mir stets zur Verfügung. Die Erinnerung an diese glückliche Zeit verknüpft sich mit der an die Jesuiten in dem Grade, daß letztere mir erst durch jene selige Zeit und diese wieder erst durch die Jesuiten recht lieb geworden sind. Wenn mir ihre Lehre auch immer gefährlich vorgekommen ist, bin ich doch nie fähig gewesen, sie aufrichtig zu hassen.
Ich möchte wohl wissen, ob sich in den Herzen anderer Menschen auch hin und wieder solche kindische Gedanken festsetzen, wie bisweilen in den meinigen. Inmitten meiner Studien und eines so unschuldigen Lebens, wie man es nur irgend führen kann, und trotz alles dessen, was man mir dagegen hatte einwenden können, quälte mich die Furcht vor der Hölle noch häufig. Ich fragte mich: In welchem Stande bin ich? Würde ich, wenn ich jetzt im Augenblicke stürbe, verdammt werden? Nach den Jansenisten war daran nicht zu zweifeln, aber nach meinem Gewissen mußte ich es in Abrede stellen. In steter Angst und qualvoller Ungewißheit griff ich, um mich davon frei zu machen, zu den lächerlichsten Mitteln, für die ich jeden andern Menschen, den ich eben so thöricht handeln sähe, mit Freuden einsperren lassen würde. Unter Träumereien über diese mich folternde Frage übte ich mich eines Tages maschinenmäßig mit Steinen nach Baumstämmen zu werfen und zwar mit meiner gewöhnlichen Geschicklichkeit, das heißt ohne fast einen einzigen zu treffen. Mitten in dieser angenehmen Beschäftigung gerieth ich auf den Einfall, eine Art Prognostikon zur Beschwichtigung meiner Unruhe daraus zu machen. Ich sagte zu mir:
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