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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Ich will einen Stein nach dem mir gegenüberstehenden Baume werfen; wenn ich ihn treffe, so soll es ein Zeichen der Rettung; wenn ich ihn verfehle, ein Zeichen meiner Verdammnis sein. Mit diesen Worten werfe ich mit zitternder Hand und unter furchtbarem Herzklopfen den Stein, aber so glücklich, daß er den Baum gerade in der Mitte trifft; das war nun allerdings keine Kunst, denn ich hatte die Vorsicht beobachtet, einen sehr dicken und dicht vor mir stehenden zu wählen. Seitdem habe ich an meiner ewigen Seligkeit nicht mehr gezweifelt. Wenn ich an diesen Einfall denke, weiß ich nicht, ob ich über mich lachen oder seufzen soll. Ihr andere aber gleich mir für groß gehaltene Männer, die ihr sicherlich lacht, wünscht euch Glück, aber verspottet meine Kleinlichkeit nicht, denn, glaubt es, ich fühle sie nur zu wohl.
    Uebrigens waren diese von der Frömmigkeit vielleicht unzertrennlichen Aufregungen und Beängstigungen kein bleibender Zustand. Gemeiniglich war ich ziemlich ruhig, und der Gedanke, bald sterben zu müssen, erfüllte meine Seele weniger mit Trauer als mit einer sanften Mattigkeit, die sogar ihre Reize hatte. Unter alten Papieren habe ich unlängst eine Art Ermahnungsrede wieder aufgefunden, die ich mir selbst gehalten und in der ich mir Glück gewünscht habe, in einem Alter zu sterben, in welchem man noch Muth genug besitze, um dem Tode ins Angesicht zu sehen, und ohne von großen körperlichen oder geistigen Leiden heimgesucht worden zu sein. Wie Recht hatte ich! Ein Vorgefühl flößte mir die Befürchtung ein, ich würde leben bleiben, um zu leiden. Ich schien das Loos vorauszusehen, welches meiner im Alter wartete. Ich bin der Weisheit nie so nahe gewesen wie in diesem glücklichen Lebensabschnitte. Ohne große Gewissensbisse wegen der Vergangenheit, frei von den Sorgen für die Zukunft war das meine Seele beherrschende Verlangen auf den Genuß der Gegenwart gerichtet. Die Frommen haben gewöhnlich eine äußerst lebhafte Sinnlichkeit, welche die Triebfeder für sie ist, die unschuldigen Freuden, die ihnen gestattet sind, mit Wonne zu genießen. Die Weltkinder rechnen es ihnen zum Verbrechen an, ich weiß nicht, weshalb, oder vielmehr ich weiß es recht gut: lediglich deshalb, weil sie sie um den Genuß jener einfachen Freuden beneiden, an denen sie selbst den Geschmack verloren haben. Ich hatte diesen Geschmack und fand es reizend, ihn mit ruhigem Gewissen befriedigen zu können. Mein Herz, noch jung und frisch, überließ sich allem mit der Freude eines Kindes, oder vielmehr, wenn ich so sagen darf, mit der Wollust eines Engels; denn diese ruhigen Genüsse haben in Wahrheit die Reinheit paradiesischer Freuden. Mahlzeiten auf dem Rasen zu Montagnole, Abendessen in der Laube, das Einsammeln des Obstes, die Weinlese, dies alles bildete für uns eben gleich so viele Feste, an denen Mama mit ebenso großer Freude Theil nahm wie ich. Einsamere Spaziergänge gewährten einen noch größeren Reiz, weil sich die Herzen in noch größerer Freiheit ergießen konnten. Unter andern unternahmen wir einen, der unauslöschlich in meiner Erinnerung steht, an einem Sanct-Ludwigstage, der zugleich Mamas Namenstag war. Nach Anhörung der Messe, die uns ein Carmeliter bei Tagesanbruch in einer an das Haus stoßenden Kapelle gelesen, machten wir uns schon ganz früh zusammen und allein auf den Weg. Ich hatte den Vorschlag gemacht, die uns gegenüberliegende Berghalde, welche wir noch nicht besucht hatten, zu durchstreifen. Wir hatten unsere Lebensmittel vorausgesandt, da der Spaziergang den ganzen Tag währen sollte. Obgleich Mama ein wenig rund und stark war, marschirte sie gar nicht übel. Wir wanderten von Hügel zu Hügel und von Gehölz zu Gehölz, mitunter in der Sonne und häufig im Schatten, wobei wir uns von Zeit zu Zeit ausruhten und uns im Geplauder von uns, unserer Verbindung, der Seligkeit unseres Schicksales und unter Gebeten um dessen Dauer, die keine Erhörung fanden, Stunden lang vergaßen. Alles schien sich zu vereinen, zur Erhöhung der Seligkeit dieses Tages beizutragen. Es hatte vor Kurzem geregnet, kein Staub, überall schnell einherrauschende Bäche; ein frischer Windhauch bewegte die Blätter, die Luft war rein, der Horizont unbewölkt, die Heiterkeit des Himmels glich der in unsern Herzen. Unser Mittagsessen fand bei einem Bauern statt und wurde mit seiner Familie getheilt, die uns von Herzen dafür segnete. Diese armen Savoyarden sind so gute Leute! Nach dem Essen flüchteten wir uns in den

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