Rousseau's Bekenntnisse
Literatur nicht an ihrem Platze war, denn sie führte nur dazu, aus einem seiner Söhne einen Schauspieler zu machen.
Diese Herrn suchten Frau von Warens auf und begnügten sich damit, mein Loos mit ihr zu beweinen, anstatt mir nachzueilen und mich einzuholen, wie sie leicht hätten thun können, da sie zu Pferde waren und ich zu Fuß. Mein Oheim Bernard hatte es genau eben so gemacht. Er war nach Confignon gekommen, und kehrte von dort, als er vernahm, daß ich in Annecy war, nach Genf zurück. Meine Verwandten schienen sich mit meinem Stern verschworen zu haben, mich dem Geschick, das meiner wartete, zu überliefern. Mein Bruder war in Folge einer ähnlichen Nachlässigkeit verschwunden und so vollständig verschwunden, daß man nie erfahren hat, was aus ihm geworden.
Mein Vater war nicht allein ein Mann von Ehre, er war auch ein Mann von zweifelloser Rechtlichkeit und hatte eine jener starken Seelen, welche die Triebfedern großer Tugenden sind; ja, er war noch dazu ein guter Vater, namentlich gegen mich. Er liebte mich auf das zärtlichste, aber er liebte auch das Vergnügen, und andere Neigungen hatten, seit ich fern von ihm lebte, seine väterliche Liebe ein wenig erkalten lassen. Er hatte sich in Nyon wieder verheirathet, und obgleich seine Frau nicht mehr in dem Alter stand, mir Brüder zu geben, so hatte sie doch Verwandte: das hatte eine andere Familie, andere Verhältnisse, einen neuen Hausstand zur Folge, die ihn nicht mehr so oft an mich erinnerten. Mein Vater alterte und hatte kein Vermögen, sein Alter zu erleichtern. Wir Brüder besaßen von unserer Mutter etwas Vermögen, dessen Zinsen meinem Vater während unserer Abwesenheit zufallen mußten. Der Gedanke hieran wirkte zwar nicht unmittelbar auf ihn ein und hielt ihn von der Erfüllung seiner Pflicht nicht ab, wirkte aber doch unmerklich, ohne daß er selbst sich dessen bewußt wurde, und mäßigte bisweilen seinen Eifer, der ihn sonst weiter getrieben hätte. Hierin liegt, wie ich denke, der Grund, weshalb er, obgleich er mich anfangs bis Annecy verfolgte, mir doch nicht bis Chamberi nachging, wo er überzeugt sein konnte, mich einzuholen, und weshalb er mich, so oft ich ihn nach meiner Flucht besuchte, stets mit väterlicher Zärtlichkeit aufnahm, sich aber nie Mühe gab, mich zurückzuhalten.
Dieses Verhalten eines Vaters, dessen Zärtlichkeit und Pflichttreue ich so gut kannte, hat mir Veranlassung zu Betrachtungen über mich selbst gegeben, die nicht wenig dazu beigetragen haben, mein Herz gesund zu erhalten. Ich habe nämlich daraus die große moralische Lehre gezogen – die einzige vielleicht, die eine erfolgreiche Anwendung zuläßt – mich vor solchen Lebenslagen zu hüten, welche unsere Pflichten mit unsern Vortheil in Widerspruch bringen und uns unser Heil im Nachtheile anderer sehen lassen. Ich ging dabei von der Ueberzeugung aus, daß man, eine wie aufrichtige Liebe man auch zur Tugend hegen mag, in solchen Lagen früher oder später, ohne sich dessen bewußt zu werden, schwach wird. Man wird in der That ungerecht und schlecht, ohne aufgehört zu haben, im Herzen gerecht und gut zu sein.
Dieser Grundsatz, der sich meinem Herzen tief einprägte und von dem ich mich, wenn auch erst ein wenig spät, immerdar leiten ließ, gehört zu denjenigen, die mir in der Welt und namentlich unter meinen Bekannten den Anschein eines wunderlichen und närrischen Menschen verliehen. Man hat mir nachgesagt, ich wollte ein Original sein und anders handeln als andere. In Wahrheit bin ich jedoch weder darauf ausgegangen wie andere, noch anders als sie zu handeln. Ich wünschte immer nur aufrichtig, recht zu thun. Mit aller Gewalt entzog ich mich Lagen, die meinen Vortheil mit dem eines andern Menschen in Widerspruch bringen und mir folglich das geheime, wenn auch unabsichtliche Verlangen nach dem Schaden dieses Menschen einflößen mußten.
Vor zwei Jahren wollte mich Lord Maréchal in seinem Testament bedenken; ich widersetzte mich dem mit aller Kraft. Ich gab ihm zu erkennen, daß ich mich um alles in der Welt in dem Testamente keines Menschen, wer es auch immer sein möchte, und am wenigsten in dem seinigen, wissen wollte. Er fügte sich. Jetzt will er mir eine Leibrente aussetzen, und dagegen erhebe ich keinen Einwand. Man wird sagen, daß ich bei diesem Tausche meine Rechnung finde; wohl möglich. Aber, o mein Wohlthäter und mein Vater, wenn ich das Unglück habe, dich zu überleben, so weiß ich auch, daß ich mit deinem Verluste alles zu
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