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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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ersten Blicke an nicht allein die lebhafteste Zuneigung, sondern auch ein vollkommenes Vertrauen einflößte, das nie aufgehört hat. Nehmen wir an, meine Gefühle für sie wären wirklich Liebe gewesen, was dem, der dem Verlaufe unseres Verhältnisses folgen wird, wenigstens zweifelhaft vorkommen muß: wie, frage ich, konnte dann diese Leidenschaft von ihrem Entstehen an von Empfindungen begleitet sein, welche sie am wenigsten erweckt, von Herzensfrieden, Ruhe, Frohsinn, Sorglosigkeit, Sicherheit? Wie konnte ich mich, als ich mich zum ersten Male einer liebenswürdigen, gebildeten, blendend schönen Frau näherte, einer Dame, die einem höheren Stande als ich angehörte, wie ich noch nie zu einer Zutritt gehabt hatte, von der gewissermaßen, je nach dem größeren oder geringeren Antheil, den sie an mir nehmen würde, mein Schicksal abhing: wie, sage ich, konnte ich mich bei dem allen augenblicklich eben so frei, eben so behaglich fühlen, als wäre ich vollkommen überzeugt gewesen, ihr zu gefallen? Wie konnte ich auch nicht einen Augenblick verlegen, ängstlich und beklommen sein? Wie konnte ich, da ich von Natur schüchtern und verlegen war und die Welt nicht kannte, ihr gegenüber vom ersten Tage, vom ersten Augenblicke an das ungezwungene Benehmen, die zärtliche Sprache, den vertrauten Ton annehmen, den ich zehn Jahre später im Verkehre mit ihr stets anschlug, als ihn die größte Vertraulichkeit natürlich gemacht hatte? Fühlt man Liebe, ich sage nicht ohne Verlangen, das ich in der That empfand, aber ohne Unruhe, ohne Eifersucht? Will man vom Gegenstande seiner Liebe nicht wenigstens hören, ob man Gegenliebe findet? Diese Frage an sie zu richten, ist mir in meinem Leben ja eben so wenig in den Sinn gekommen, als mich selbst zu fragen, ob ich sie liebte, und auch sie hat sich gegen mich nicht neugieriger gezeigt. In meinen Gefühlen für diese reizende Frau lag sicherlich etwas Eigenthümliches, und man wird späterhin noch Sonderbarkeiten zu hören bekommen, die man schwerlich vermuthet.
    Es handelte sich darum, was aus mir werden sollte, und um es ruhiger mit mir besprechen zu können, behielt sie mich zum Essen. Dies war die erste Mahlzeit in meinem Leben, bei der es mir an Appetit fehlte, und ihre Kammerfrau, die uns aufwartete, erklärte mich für den ersten Reisenden meines Alters und Schlages, bei dem sie einen Mangel daran wahrgenommen hätte. Diese Bemerkung, die mir in den Augen ihrer Herrin nicht schadete, zielte auf einen dicken ungeschlachten Burschen, der mit uns speiste und ganz allein so viel verschlang, daß sechs Personen vollkommen damit ausgereicht hätten. Ich für meine Person befand mich in einem Entzücken, das mich nicht zum Essen kommen ließ. Mein Herz nährte sich von einem ganz neuen Gefühle, das mich völlig durchdrang und erfüllte und mir den Sinn für alles Andere raubte.
    Frau von Warens verlangte die Einzelheiten meiner kleinen Geschichte zu erfahren. Während dieser Erzählung fand ich all das Feuer wieder, welches ich bei meinem Meister verloren hatte. Je mehr ich diese vortreffliche Seele zu meinen Gunsten einnahm, desto mehr bedauerte sie das Loos, dem ich mich aussetzen wollte. Ihr zärtliches Mitleid gab sich in ihren Mienen, in ihren Blicken, in ihren Bewegungen zu erkennen. Sie wagte nicht mich zu ermahnen, nach Genf zurückzukehren; in ihrer Lage wäre das Hochverrath gegen die katholische Kirche gewesen, und sie wußte sehr wohl, wie sehr sie überwacht und ihre Worte auf die Goldwage gelegt wurden. Aber sie redete zu mir in einem so rührenden Tone von dem Kummer meines Vaters, daß man ihr recht gut anmerken konnte, wie sehr sie sich gefreut hätte, wenn ich, um ihn zu trösten, zu ihm zurückgeeilt wäre. Sie ahnte nicht, wie sehr sie unbewußt gegen sich selber sprach. Abgesehen davon, daß ich meinen Entschluß, wie ich schon gesagt zu haben glaube, einmal gefaßt hatte, war ich, je beredter und überzeugender ich sie fand und je mehr mir ihre Worte zu Herzen gingen, um so weniger im Stande, mich von ihr zu trennen. Ich sah ein, daß ich durch meine Rückkehr nach Genf eine fast unübersteigliche Schranke zwischen ihr und mir aufrichten würde, wenn ich nicht den bereits gethanen Schritt von Neuem thun wollte, und deshalb war die sofortige Durchführung meines Entschlusses jedenfalls am besten. Ich blieb ihm also getreu. Als Frau von Warens die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen sah, trieb sie dieselben nicht so weit, daß sie sich selbst dadurch

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