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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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verlieren und nichts zu gewinnen habe.
    Das ist, denke ich, die beste Philosophie, die einzige dem menschlichen Herzen wahrhaft geziemende. Ich lasse mich von ihrer tiefen Wahrheit täglich mehr durchdringen und habe sie in allen meinen letzten Schriften von verschiedenen Seiten zu beleuchten gesucht; aber die Menschen, die gedankenarm sind, haben sie nicht aufzufassen verstanden. Wenn ich nach Vollendung dieses Werkes noch lange genug lebe, um ein anderes beginnen zu können, so beabsichtige ich in einer Fortsetzung des Emil ein so bezauberndes und schlagendes Beispiel für diese Lebensregel zu geben, daß mein Leser gezwungen sein soll, ihr Beachtung zu schenken. [Fußnote: Dieses Beispiel, so schlagend, wie man es nur wünschen kann, ist von ihm schon in der »Neuen Heloise« (3. Thl., Brief XX) gegeben worden, als die jetzt verheirathete Julie Saint-Preux ihren festen Entschluß ausspricht, wenn sie etwa Wolmar verlieren sollte, nie einen anderen Gatten zu nehmen.] Aber genug der Betrachtungen für einen Reisenden; es ist Zeit, mich wieder auf den Weg zu machen.
    Ich legte ihn angenehmer zurück, als ich hätte erwarten dürfen; mein bäurischer Reisegenosse war keineswegs so grämlich, wie er aussah. Er war ein Mann mittleren Alters, der sein schwarzes, schon ergrauendes Haar in einen Zopf geflochten trug, hatte etwas Soldatenhaftes an sich, eine kräftige Stimme, war heiter, ein tüchtiger Fußgänger und ein noch tüchtigerer Esser und legte sich auf allerlei Gewerbe, weil er kein einziges gründlich verstand. Er hatte, wie ich glaube, die Gründung, ich weiß nicht was für einer Fabrik in Annecy in Vorschlag gebracht. Frau von Warens hatte nicht ermangelt, denselben anzunehmen, und nun reiste er auf ihre Kosten nach Turin, um die Genehmigung des Ministers einzuholen. Unser Mann verstand sich auf das Ränkeschmieden, wobei er sich stets hinter die Priester steckte, und da er sich eifrig bemüht stellte, ihnen Dienste zu leisten, hatte er allmählich in ihrer Schule eine frömmelnde Redeweise angenommen, deren er sich beständig bediente, in dem Wahne, dadurch ein großer Prediger zu sein. Er wußte sogar eine Bibelstelle in der Übersetzung der Vulgata, und da er sie täglich tausendmal wiederholte, so war es eben so gut, als hätte er deren tausend gewußt. Es fehlte ihm übrigens selten an Geld, sobald er etwas in der Börse anderer wußte. Trotzdem war er mehr listig als betrügerisch, und wenn er seine Capuzinaden im Tone eines begeisterten Bekehrers zum besten gab, so glich er Peter dem Einsiedler, wie er mit dem Säbel an der Seite den Kreuzzug predigte.
    Was Frau Sabran, seine Gattin betrifft, so war sie eine ganz brave Frau, die sich am Tage ruhiger als des Nachts verhielt. Da ich stets mit meinen Reisegefährten in einem Zimmer schlief, so weckte mich oft die geräuschvolle Schlaflosigkeit der Frau, und hätte mich, wäre mir die Ursache bekannt gewesen, wohl noch wacher gemacht. Allein ich hatte nicht einmal eine Ahnung davon und war über dieses Kapitel in einer Unkunde, die es der Natur allein überlassen hat, für meine Belehrung zu sorgen.
    So zog ich mit meinem frommen Führer und seiner lebhaften Gefährtin fröhlich meine Straße. Kein Unfall störte meine Reise; ich fühlte mich leiblich wie geistig so wohl, wie ich je in meinem Leben gewesen bin. Jung, kräftig, voller Gesundheit, Zuversicht und Vertrauen auf mich und andere, befand ich mich in jenem kurzen, aber köstlichen Abschnitt des Lebens, wo dessen strotzende Fülle gleichsam unser ganzes Wesen in all seinen Empfindungen erhebt und erweitert und die ganze Natur in unsern Augen durch den Reiz unseres eigenen Daseins verschönt. Meine süße Unruhe hatte einen Gegenstand, der sie weniger umherschweifen ließ und meiner Einbildungskraft eine bestimmte Richtung gab. Ich betrachtete mich als das Werk, den Schüler, den Freund, ja fast als den Geliebten der Frau von Warens. Die verbindlichen Dinge, die sie mir gesagt, die kleinen Zärtlichkeiten, die sie mir erwiesen; der zärtliche Antheil, den sie allem Anschein nach an mir genommen; die bezaubernden Blicke, die mir Liebe zu verkünden schienen, da sie mir Liebe eingeflößt hatten; alles dies beschäftigte während der Wanderung unaufhörlich meine Seele und versenkte mich in holde Träume. Keine Befürchtung, keine Besorgnis wegen des meiner wartenden Looses störte mich in diesen Träumereien. In meiner Sendung nach Turin lag, wie ich glaubte, die Verpflichtung, dort für meinen

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