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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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die kleinste Lücke, die kleinste Unterbrechung in meiner Erzählung fände, sich fragt: »Was hat er während dieser Zeit gethan?« und mich beschuldigt, daß ich ihm nicht alles habe sagen wollen. Ich gebe durch meine Mittheilungen der üblen Nachrede der Menschen schon genug Anhalt, so daß ich mich hüten muß, es auch noch durch das zu thun, was ich mit Stillschweigen übergehe.
    Die wenigen Nothgroschen, die mir Frau von Warens eingehändigt, waren dahin; ich hatte geplaudert, und meine Begleiter ließen meine Unvorsichtigkeit nicht unbenutzt. Frau Sabran hatte immer neue Ausflüchte bei der Hand, mir alles, selbst ein kleines silberartiges Band abzunehmen, welches mir Frau von Warens als Degenquaste geschenkt hatte, und dessen Verlust ich tiefer bedauerte als den meiner übrigen Habe; sogar der Degen wäre in ihren Händen geblieben, hätte ich weniger kräftigen Widerstand entgegengesetzt. Unterwegs hatten sie getreulich alle Ausgaben für mich bestritten; aber sie hatten mir nichts gelassen. Ohne Kleider, ohne Geld, ohne Wäsche kam ich in Turin an, indem ich meinem Verdienste allein die ganze Ehre überlassen mußte, mein Glück zu gründen.
    Nachdem ich die Briefe, die ich bei mir hatte, abgegeben, wurde ich augenblicklich nach dem Hospiz für Katechumenen geführt, um dort in der Religion, für welche man mir meinen Unterhalt verkaufte, unterrichtet zu werden. Beim Hineingehen gewahrte ich ein starkes eisernes Gitterthor, welches, sobald ich hindurchgeschritten, hinter mir doppelt verschlossen wurde. Dieser Eintritt in meine neue Lebensbahn war für mich eher niederbeugend als ermuthigend und fing eben an mir zu denken zu geben, als man mich in einen ziemlich großen Raum eintreten ließ. Die ganze Ausstattung wurde aus einem hölzernen Altar im Hintergrunde des Zimmers, auf dem ein großes Crucifix emporragte, und aus vier oder fünf um ihn stehenden, ebenfalls hölzernen Stühlen gebildet, die dem Anschein nach einst polirt waren, aber lediglich in Folge des langen Gebrauchs einen schimmernden Glanz erhalten hatten. In diesem Versammlungssaale befanden sich vier oder fünf scheußliche Strolche, meine Unterrichtsgenossen, die eher Diener des Teufels zu sein schienen als Gläubige, die sich sehnten, Gottes Kinder zu werden. Zwei von diesen Schuften waren Slavonier, die sich für Juden und Mauren ausgaben und, wie sie mir gestanden, nichts anderes thaten, als daß sie Spanien und Italien durchwanderten und sich überall, wo sich die Bezahlung der Mühe lohnte, zum Christenthum bekehrten und taufen ließen. Nun öffnete man eine andere eiserne Thür, welche einen großen Balkon, der den Hof entlang lief, in zwei Theile theilte. Durch diese Thür traten unsere Schwestern ein, Katechumenen, die gleich mir darauf bedacht waren, ihre Wiedergeburt nicht durch die Taufe, sondern durch eine feierliche Abschwörung ihres Glaubens zu erlangen. Es waren wohl die größten Vetteln und die gemeinsten Landstreicherinnen, die je den Schafstall des Herrn verpestet haben. Eine einzige kam mir hübsch und ziemlich anziehend vor. Sie war ungefähr von meinem Alter, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Sie hatte schelmische Augen, die den meinigen dann und wann begegneten. Dies flößte mir einiges Verlangen ein, ihre Bekanntschaft zu machen; aber fast zwei Monate lang, die sie noch in diesem Hause zubrachte, wo sie schon drei Monate geweilt hatte, war es mir durchaus unmöglich, sie anzureden, so sehr war sie unserer alten Kerkermeisterin anempfohlen und von dem heiligen Missionar umlagert, der mit mehr Eifer als Schnelligkeit an ihrer Bekehrung arbeitete. Sie mußte äußerst einfältig sein, wenn sie auch gar nicht danach aussah, denn nie hat ein Unterricht längere Zeit in Anspruch genommen. Der heilige Mann fand sie nie zur Abschwörung reif genug. Aber sie wurde des Klosterzwanges überdrüssig und verlangte ihre Entlassung, ob Christin oder nicht. Man mußte sie beim Worte nehmen, so lange sie noch damit einverstanden war, es zu werden, damit sie nicht widerspenstig würde und ihre Absicht aufgab.
    Zu Ehren des neuen Ankömmlings war die kleine Gemeinde versammelt. Man hielt uns eine kurze Ermahnungsrede, um mir ans Herz zu legen, daß ich mich der Gnade, die Gott mir erwies, würdig machen sollte, und die andern zur Fürbitte für mich und zu einem erbaulichen Vorbilde aufzufordern. Als unsere Jungfrauen darauf in ihre Klausur zurückgekehrt waren, hatte ich Zeit in aller Muße über die Betrachtungen anzustellen,

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