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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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bloßstellte, sagte aber mit einem Blicke voll Mitleid zu mir: »Armer Kleiner, du mußt gehen, wohin Gott dich ruft; wenn du aber erwachsen bist, wirst du meiner gedenken.« Ich glaube, daß sie selbst nicht dachte, wie grausam sich diese Vorhersagung, erfüllen würde.
    Die Schwierigkeit meiner Lage blieb nach wie vor gleich groß. Wie sollte ich mich in meinem jugendlichen Alter fern von der Heimat ernähren? Da ich kaum die Hälfte meiner Lehrzeit hinter mir hatte, war ich noch weit davon entfernt, mein Handwerk zu verstehen. Aber selbst wenn ich es verstanden hätte, würde ich in Savoyen, einem Lande, zu arm, um die Künste zu pflegen, nicht davon haben leben können. Der ungeschlachte Bursch, der für uns mit aß, endlich gezwungen sich zur Schonung seiner Kinnbacken einen Augenblick auszuruhen, gab mir einen Wink, der, wie er sagte, vom Himmel käme, der aber, wenn ich an die Folgen denke, weit eher von der entgegengesetzten Seite kam. Er rieth mir nach Turin zu gehen, wo ich nach seiner Behauptung in einem für die Ausbildung der Katechumenen errichteten Hospize so lange meine leibliche wie geistige Speise erhalten würde, bis ich nach meiner Aufnahme in den Schoos der Kirche durch die Mildthätigkeit guter Seelen eine geeignete Stellung fände. »Was die Reisekosten anlangt,« fuhr mein Mann fort, »so wird der hochwürdige Herr Bischof, wenn ihn die gnädige Frau um dieses fromme Werk bittet, nicht ermangeln, denselben reichlich damit zu versehen, und,« sagte er, indem er sich über seinen Teller neigte, »die Frau Baronin, die so mildthätig ist, wird sich gewiß beeilen, ihr Scherflein ebenfalls dazu beizutragen.«
    Alle solche milde Gaben kamen mir sehr hart vor; mein Herz war sehr beklommen; ich konnte nichts sagen, und Frau von Warens, die diesen Vorschlag nicht so eifrig aufnahm, wie er gemacht worden war, begnügte sich zu entgegnen, daß jeder nach seinen Kräften zur Förderung des Glaubens behilflich sein müßte, und daß sie mit seiner Hochwürden Rücksprache nehmen würde. Aber der verteufelte Geselle, welcher befürchtete, daß ihre Worte nicht nach seinem Sinne ausfallen würden, und doch gern einen kleinen Vortheil aus dieser Sache ziehen wollte, beeilte sich die Domherren davon in Kenntnis zu setzen und gewann die guten Priester so vollkommen für seinen Plan, daß, als Frau von Warens, die wegen dieser Reise für mich besorgt war, mit dem Bischof darüber reden wollte, sie schon alles geregelt fand und von ihm augenblicklich die zu meinem kleinen Zehrpfennig bestimmte Geldsumme erhielt. Sie hatte nicht den Muth darauf zu bestehen, daß ich dableiben sollte, da ich mich schon einem Alter näherte, wo eine Frau in dem ihrigen schicklicherweise nicht den Wunsch aussprechen durfte, einen jungen Mann bei sich zurückzuhalten.
    Da nun von denen, die sich meiner annahmen, meine Reise in solcher Weise festgesetzt war, mußte ich mich ihrem Willen unterwerfen und that es sogar ohne großes Widerstreben. Obgleich Turin weiter als Genf war, so mußte es meines Erachtens als Hauptstadt doch mit Annecy engere Verbindungen haben als eine Stadt, die einem fremden Staate und einem andern Glauben angehörte; und da ich ferner nur abreiste, um Frau von Warens zu gehorchen, so betrachtete ich mich als beständig unter ihrer Leitung stehend, und das hieß mehr als in ihrer Nähe leben. Endlich schmeichelte die Vorstellung einer großen Reise meinem Wandertriebe, der schon hervorzutreten begann. Es kam mir schön vor, in meinem Alter das Gebirge zu durchstreifen und mich über meine Kameraden um die ganze Höhe der Alpen zu erheben. Länder sehen hat einen Reiz, dem ein Genfer nicht leicht widersteht: ich gab demnach meine Einwilligung. Der ungeschlachte Bursche mußte in zwei Tagen mit seiner Frau ebenfalls dorthin reisen. Ihnen wurde ich anvertraut und anempfohlen. Auch meine Börse, die von Frau von Warens noch mehr gefüllt war, wurde ihnen übergeben. Außerdem gab mir aber meine Beschützerin noch im Geheimen eine kleine Summe, über deren Verwendung sie ausführliche Anweisungen hinzufügte, und am Mittwoch in der Charwoche reisten wir ab.
    Am Tage nach meiner Abreise von Annecy kam mein Vater daselbst an, der mit einem Herrn Rival, seinem Freunde, meine Spur verfolgte. Dieser, Uhrmacher wie mein Vater, war ein Mann von Geist, Schöngeist sogar, der in der Verskunst La Motte übertraf und im Reden ihm fast gleichkam. Was aber noch mehr sagen will, er war ein vollkommener Ehrenmann, bei dem jedoch die

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