Rousseau's Bekenntnisse
Schrecken zu setzen und zur Flucht zu bewegen. Ich lachte über diesen kindischen Kunstgriff und sagte mir, indem ich mich über sie lustig machte: wüßten sie wirklich etwas Genaues, so würden sie irgend ein anderes Mittel hervorgesucht haben, um mir Angst einzujagen. Allein das Gerücht trat endlich so bestimmt auf, daß es klar wurde, es läge etwas Wahres zu Grunde. Herr und Frau von Luxembourg hatten dieses Jahr ihre zweite Reise nach Montmorency schon früher angetreten, so daß sie daselbst bereits Anfangs Juni eintrafen. Dort hörte ich trotz des Aufsehens, das meine Bücher in Paris erregten, sehr wenig von ihnen reden, und die Schloßherrschaft sprach davon gar nicht mit mir. Eines Morgens jedoch, als ich mit Herrn von Luxembourg allein war, sagte er zu mir: »Haben Sie in dem »Contrat social« von Herrn von Choiseul etwas Nachtheiliges gesagt?« – »Ich?« erwiderte ich, vor Ueberraschung zurückfahrend, »nein, das kann ich beschwören; ich habe ihm im Gegentheile und noch dazu mit einer Feder, der alle Lobhudelei fremd ist, das glänzendste Lob gespendet, das je einem Minister zu Theil geworden ist,« und sofort sagte ich ihm die Stelle her. »Und im Emil?« fuhr er fort. »Nicht ein Wort,« versetzte ich; »er enthält nicht ein einziges Wort, das sich auf ihn bezieht.« – »Ach,« sagte er mit größerer Lebhaftigkeit als sonst, »Sie hätten es im andern Buche eben so machen sollen oder deutlicher sein müssen.« – »Ich glaubte es zu sein,« entgegnete ich, »meine Achtung vor ihm war dazu hoch genug.« Er wollte weiter reden; ich sah ihn im Begriff, sich ganz gegen mich auszusprechen, als er sich plötzlich bezwang und schwieg. Unglückselige Höflingspolitik, die in den besten Herzen selbst über die Freundschaft die Oberhand gewinnt.
Diese, wenn auch kurze, Unterredung klärte mich doch, wenigstens in gewisser Beziehung, über meine Lage auf und ließ mich erkennen, daß man doch an mich wollte. Ich beklagte dieses unerhörte Verhängnis, das alles, was ich gutes sagte und that, zu meinem Nachtheil ausschlagen ließ. Da ich aber hierbei in Frau von Luxembourg und Herrn von Malesherbes einen Schild zu haben glaubte, sah ich nicht ein, wie man es anfangen wollte, sie bei Seite zu schieben und mir zu Leibe zu gehen, denn im Uebrigen begriff ich jetzt recht gut, daß man sich nicht mehr um Billigkeit und Gerechtigkeit kümmern und es sich nicht groß anfechten lassen würde, erst zu prüfen, ob ich denn wirklich Unrecht hätte oder nicht. Der Sturmwind erhob sich indessen mehr und mehr. Sogar Néaulme drückte mir in seiner schwatzhaften Weitschweifigkeit sein Bedauern aus, sich mit diesem Werke eingelassen zu haben, und verrieth die Gewißheit, in der er über das Schicksal zu sein schien, welches dem Buche wie dem Verfasser drohte. Eins beruhigte mich jedoch immer wieder. Ich sah Frau von Luxembourg so ruhig, so zufrieden, sogar so heiter, daß sie doch ihrer Sache ganz sicher sein mußte, um meinetwillen nicht die geringste Unruhe zu zeigen, um mir nicht ein einziges Wort der Theilnahme oder der Entschuldigung zu sagen, um die Wendung, welche die Sache nahm, mit einer solchen Gleichgiltigkeit anzusehen, als ob sie sie gar nichts anginge und sie selbst nie das geringste Interesse für mich gehegt hätte. Was mich Wunder nahm, war, daß sie darüber gar nicht mit mir sprach; etwas hätte sie meiner Ansicht nach mir sagen müssen. Frau von Boufflers schien weniger ruhig. Sie kam und ging mit erregter Miene, machte sich viel zu schaffen und betheuerte mir, der Prinz Conti gäbe sich ebenfalls viel Mühe, den Schlag abzuwenden, der gegen mich im Schilde geführt würde, und den sie immer nur den gegenwärtigen Verhältnissen zuschrieb, unter denen es dem Parlamente darauf ankäme, sich von den Jesuiten nicht religiöser Gleichgültigkeit zeihen zu lassen. Sie schien indessen wenig auf den Erfolg der Schritte des Prinzen wie ihrer eigenen zu rechnen. Ihre mehr beunruhigenden als beruhigenden Mittheilungen hatten sämmtlich den Zweck, mich zur Flucht zu bewegen. Sie rieth mir beständig, mich in England niederzulassen, wo sie mir viele Freunde in Aussicht stellte, unter andern den berühmten Hume, der seit langer Zeit der ihrige war. Als sie wahrnahm, daß ich immer in meiner Ruhe verblieb, wandte sie einen Kunstgriff an, der geeigneter war, mich zu erschüttern. Sie gab mir zu verstehen, wenn ich verhaftet und verhört würde, käme ich in die Nothwendigkeit, Frau von Luxemburg zu nennen, und
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