Rousseau's Bekenntnisse
Beziehung gute Waare; für mein Geld bin ich sicher eine schlechte zu erhalten. Ich kaufe theuer ein frisches Ei, es ist alt; eine schöne Frucht, sie ist unreif; ein Mädchen, es ist verdorben. Ich liebe guten Wein; aber woher ihn beziehen? Von einem Weinhändler? Wie ich es auch anfangen mag, er wird mich vergiften. Verlange ich durchaus gut bedient zu werden, welche Mühe, welche Verlegenheiten habe ich dann! Ich muß Freunde, auch Geschäftsfreunde haben, Aufträge ertheilen, umherlaufen, warten, und bin am Ende oft doch noch betrogen. Welche Mühe mit meinem Gelde! Meine Furcht vor derselben ist größer als meine Liebe zu gutem Weine.
Während meiner Lehrzeit wie später bin ich tausendmal in der Absicht ausgegangen, irgend eine Leckerei zu kaufen. Ich gehe auf den Laden eines Weißbäckers zu, am Zahltische bemerke ich Frauen; ich glaube schon zu sehen, wie sie lachen und sich unter einander über das kleine Leckermaul lustig machen. Ich gehe an einer Obsthändlerin vorüber, ein verstohlener Blick fällt auf schöne Birnen, ihr Duft ist verlockend; zwei oder drei junge Leute in der Nähe sehen mich an; ein Mann, der mich kennt, steht vor seinem Laden; ich sehe aus der Ferne ein Mädchen kommen: ist es nicht die Hausmagd? Meine Kurzsichtigkeit täuscht mich tausendmal, alle Vorübergehende halte ich für Bekannte; überall lasse ich mich einschüchtern, durch irgend ein Hindernis zurückhalten; mit meinem Schamgefühle wächst meine Lüsternheit, und schließlich gehe ich wie ein Narr wieder nach Hause, von Begierde verzehrt und mit den Mitteln, sie zu befriedigen, in meiner Tasche, aber ohne den Muth, etwas zu kaufen.
Ich würde mich in die abgeschmacktesten Einzelheiten verlieren, wollte ich die Verlegenheit, die Scham, den Widerwillen, die Unannehmlichkeiten, den Verdruß aller Art schildern, die mir stets die Verwendung meines Geldes brachte, ob sie nun durch mich oder durch andere geschah. In dem Maße, wie sich der Leser in meine Lebensbeschreibung hineinliest und meinen Charakter erkennt, wird er dies alles herausfühlen, ohne daß ich mir die Mühe zu machen brauche, es ihm erst zu sagen.
Hat man diese Kenntnis erlangt, so wird man ohne Mühe einen meiner scheinbaren Widersprüche begreifen, daß sich nämlich in mir ein fast schmutziger Geiz mit der größten Verachtung des Geldes vereinigt. Es ist für mich ein so wenig bequemes Gut, daß es mir nicht einmal in den Sinn kommt, es mir, wenn ich es nicht habe, zu wünschen, und daß, sobald ich es habe, ich es lange aufhebe, ohne es auszugeben, weil ich es nicht nach meinem Gefallen zu verwenden verstehe; bietet sich indessen eine bequeme und angenehme Gelegenheit dar, so benutze ich sie so wohl, daß sich meine Börse leert, ehe ich es gewahre. Suchet übrigens bei mir nicht die Eigenthümlichkeit der Geizhälse, aus Prahlerei zu verschwenden; ganz im Gegentheil, ich verschwende im Geheimen und zum Vergnügen; weit davon entfernt, mir die Verschwendung zum Ruhme anzurechnen, verberge ich sie. Ich fühle so vollkommen, daß mir das Geld unnütz ist, daß ich mich seines Besitzes fast schäme und noch mehr seiner Verwendung. Hätte ich je hinreichendes Einkommen zu einem bequemen Leben gehabt, so würde ich mich nie versucht gefühlt haben, geizig zu sein, davon bin ich völlig überzeugt. Ich würde mein ganzes Einkommen verbrauchen, ohne nach seiner Vermehrung zu streben; allein meine unsichere Lage setzt mich in Besorgnis. Ich bete die Freiheit an; ich empfinde vor Geldverlegenheit, vor Sorge, vor Abhängigkeit Abscheu. So lange ich noch Geld in meiner Börse habe, ist meine Unabhängigkeit gesichert; es überhebt mich der Sorge, mir über die Aufbringung, neuer Mittel den Kopf zu zerbrechen, eine Notwendigkeit, die mir stets schrecklich war; aus Furcht, ich könnte es zu Ende gehen sehen, halte ich es zusammen. Das Geld, welches man besitzt, ist das Mittel zur Freiheit dasjenige, welchem man nachjagt, das Mittel zur Knechtschaft. Deshalb bin ich sehr genau und begehre nichts.
Meine Uneigennützigkeit ist also nichts als Trägheit; die Freude am Besitze ist geringer als die Mühe des Erwerbs; und meine Verschwendung ist wieder nur Trägheit; bietet sich die Gelegenheit dar, in angenehmer Weise zu verschwenden, kann man sie nicht allzusehr ausnutzen. Ich werde weniger von Geld als von Sachen in Versuchung geführt, weil zwischen dem Gelde und dem Besitz des Gewünschten stets ein Verbindungsglied vorhanden ist, während sich zwischen der Sache und
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