Roverandom
Sie enthält eine reiche Zahl von Fast-Homonymen (Persia und Pershore), Lautmalereien und Alliterationen (»Kläffen und Jaulen, Jammern und Heulen, Knurren und Quengeln, Wimmern und Winseln, Wiehern und Fauchen, Murren und Stöhnen«, Seite 29), von humorvollen Aufzählungen von großer Länge (wie die »Utensilien, Ehrenzeichen, Symbole, Notizbücher, Rezeptbücher, Elixiere, Apparate und Beutel und Flaschen mit verschiedenartigen Zaubern« in Artaxerxes’ Werkstatt, Seite 95) und unerwarteten Wendungen im Erzählduktus (»Er verschwand mit einem Schlag in der dünnen Luft; und jeder, der nie dort gewesen ist, wird dir sagen können, wie außerordentlich dünn die Mondluft ist«, Seite 37).
Dazu zählen auch ein Anzahl von Wörtern aus der »kindlichen« Umgangssprache, zum Beispiel whizz (Zisch!), splosh (Klatsch!), tummy (Bäuchlein) und uncomfy (igitt), die von besonderem Interesse sind, weil man Wörter dieser Art in Tolkiens Veröffentlichungen selten findet, denn er tilgte sie ab initio in seinen Manuskripten oder strich sie in der Revision (so wurde im Hobbit das Wort tummy durch stomach , »Bauch«, ersetzt). Hier sind sie gewiss Überbleibsel der Geschichte, wie sie den Tolkien-Kindern ursprünglich mündlich erzählt wurde.
Dass Tolkien in die Geschichte von Roverandom auchWörter wie paraphernalia (Siebensachen), phosphorescent (phosphoreszieren), primordial (ursprünglich) und rigmarole (Salbaderei) aufnahm, wirkt heutzutage erfrischend, da man meint, eine solche Sprache sei für junge Kinder zu »schwierig« – eine Ansicht, die Tolkien nicht geteilt hätte. »Ein guter Wortschatz«, schrieb er einmal (April 1949), »wird nicht erworben, indem man Bücher liest, die aufgrund irgendeiner Vorstellung vom Wortschatz einer bestimmten Altersgruppe geschrieben sind. Er ergibt sich durch das Lesen von Büchern, die einem überlegen sind.« ( J. R. R.Tolkien, Briefe)
Auch wegen des vielfältigen biografischen und literarischen Materials, das in die Geschichte eingearbeitet wurde, ist Roverandom bemerkenswert. Dabei sind natürlich an erster Stelle Tolkiens eigene Familie zu nennen und der Autor selbst; Eltern und Kinder erscheinen oder werden erwähnt, das Haus und der Strand von Filey erscheinen in drei Kapiteln, Tolkien spricht mehrere Male über Abfall und Umweltverschmutzung und Ereignisse in den Ferien 1925 – der Mondschein auf dem Wasser, der große Sturm und vor allem der Verlust von Michaels Spielzeughund –, allesamt Elemente der Geschichte. Hinzu kommt eine Fülle von Verweisen auf Mythen und Märchen, auf altnordische Sagen und auf die traditionelle und zeitgenössische Kinderliteratur: auf den Roten und den Weißen Drachen der britischen Sage, auf König Arthur und Merlin, auf mythische Meerbewohner (Nixen, Niord, der Alte Mann aus dem Meer), auf die Midgard-Schlange, daneben Entlehnungen aus den »Psammead«-Büchern von Edith Nesbit, Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln und Sylvie und Bruno und sogar aus Gilbert und Sullivan. Diverse Materialien hat Tolkien kundig eingeflochten– zur Erheiterung derer, die die Anspielungen erkennen.
Einige der Quellen Tolkiens werden in unseren Anmerkungen identifiziert und erörtert. An dieser Stelle möchten wir die Aufmerksamkeit der Leser noch etwas ausführlicher auf ein paar andere Punkte lenken.
In seiner Vorlesung »Über Märchen« (1939) kritisierte Tolkien die »Blume-und-Schmetterling«-Genauigkeit vieler Beschreibungen von Feen, insbesondere Michael Draytons Nymphidia, wo der Ritter Pigwiggen auf einem »munteren Ohrwurm« reitet und »in einer Schlüsselblume ein Rendezvous verabredet«. Doch zur Zeit von Roverandom hat Tolkien drollige Bilder noch nicht gescheut, wie die von Mond-Kobolden, die auf Kaninchen reiten und Pfannkuchen aus Schneeflocken backen, oder von Meerfeen, die in Muschelwagen fahren, die von winzigen Fischen gezogen werden. Nur zehn Jahre vorher hatte er ein inzwischen berühmtes Jugendwerk publiziert, das Gedicht »Koboldsfüße« (1915), in dem der Verfasser »winzige Hörner verzauberter Kobolde« hört und von »winzigen Gewändern« und »kleinen fröhlichen Füßen« spricht; und wie er einmal bekannte, war Tolkien in den 20er und 30er Jahren »immer noch von der konventionellen Vorstellung beeinflusst, dass sich ›Märchen‹ natürlicherweise an Kinder richten«. Darum übernahm er gelegentlich Vorstellungen und Ausdrucksweisen des traditionellen Märchens: die verspielten, singenden Elben von Bruchtal im
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