Roxelane
Horn verließ. Bei Top Kapu nahm das Schiff die Richtung über den Bosporus nach Kawak am asiatischen Ufer. Leere war um Roxelane gewesen, als der letzte Wimpel entflattert war.
Dede Semid ließ sich auch von Roxelanes Gesicht nicht täuschen. Ihr wäre es als der Herrin höchster Triumph erschienen, wenn der Kaiser auf die vorgesehene Revue verzichtet hätte.
Roxelane empfand allerdings anders.
Ein Kosak hätte sich ihretwegen ruhig in der Sonne räkeln können, wenn er dann nur zur rechten Zeit ins Boot oder den Sattel gesprungen wäre. Da es sich bei Soliman aber um einen Kaiser handelte, war es ihr ebenso selbstverständlich, daß er tat, was des Kaisers war. Nach ihrer Überzeugung durfte Soliman den Feldzug ebensowenig versäumen wie die Revue.
Denn es war an der Zeit.
Kein Haß trieb Soliman gegen die Johanniter, deren Großmeister Villiers de l’Isle Adam seinen Stuhl ungefähr zur selben Zeit bestiegen hatte wie Soliman seinen Thron. Gegenseitige Glückwünsche waren denn auch zwischen Rhodos und Konstantinopel ausgetauscht worden.
Aber Soliman konnte ein christliches Rhodos, konnte dies den Küsten Kleinasiens vorgelagerte Bollwerk der Andersgläubigen nicht dulden. Es bedrohte die Sicherheit der Pilgerschiffe und des Verkehrs mit den Provinzen. Er konnte nicht dulden, daß ungezählte Tausende rechtgläubiger Moslems in christlicher Sklaverei sich verzehrten.
Seit Mohammed dem Zweiten, dem Eroberer, dessen Angriff auf Rhodos zurückgeschlagen worden war, hatten alle Padischahs das gewußt. Alle hatten sie immer daran gedacht. Aber erst Soliman konnte handeln. Jetzt war die Frucht reif geworden.
Rhodos konnte auf keine Hilfe rechnen. Die Lage im christlichen Europa war für die Ritter ein Verhängnis.
Kaiser des Abendlandes nannte sich Karl der Fünfte, und seine Macht war trotzdem groß. Diesseits und jenseits des Ozeans ging in seinen Ländern die Sonne nicht unter. König von Spanien war er, Herr der Niederlande und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches der Deutschen.
Aber gerade der heilige römische Papst machte ihm zu schaffen. Denn der Papst stellte sich mit König Franz von Frankreich gegen ihn und die habsburgische Macht. Und die Deutschen machten ihm auch zu schaffen. Denn ein erklecklicher Teil ihrer Fürsten verwarf den Papst und hing jenem sächsischen Muderris, jenem Bibelprofessor aus Wittenberg an, dem Derwisch Martin Luther.
Es ging wunderlich zu bei den Christen. Allah hatte sie insgesamt mit Blindheit geschlagen. Denn kein vom Islam Erleuchteter hätte einzusehen vermocht, warum Karl der Habsburger den Protestanten feind sein mußte, nur weil sie seinen Feind, den Papst, nicht mochten. Doch es war so. Und daher konnte Karl der Fünfte den Johannitern auf Rhodos nicht helfen. Und Franz von Frankreich konnte es nicht, weil er mit Karl zu tun hatte. Und Heinrich der Achte von England wieder hatte mit den Mädchen seines Landes übergenug und damit zu tun, wie er wohl sein Parlament niederhalten könne. Venedig aber, das Zypern und viele andere schöne Dinge besaß, war der Hohen Pforte ergebenster Freund.
Das Verhängnis hing also über Rhodos. Und man brauchte nicht der Oberstfalkonier Ibrahim Bey zu sein, der in seinen lateinischen Versen Soliman mit Jupiter zu vergleichen pflegte, und man konnte doch wissen, daß der osmanische Kaiser alle Blitze in seinen Händen hielt. Aber wenn Soliman ins Feld zog, was geschah dann mit Roxelane? Dann war sie allein.
Und heute war sie keine unbekannte Guedlicki mehr. Heute war sie das Mädchen, mit dem der Padischah eine Nacht verbracht hatte, eine Hanum war sie und . . . und war gefährdet.
Wie ein Tierjunges zurück ins Nest, so hatte sie sich zu Dede Semid geflüchtet. Aber sagen konnte sie ihr nicht alles, nur dies: „Nein“, sagte sie, „die seidene Schnur habe ich nicht zu fürchten. Das weiß ich. Aber es gibt andere Mittel, die unsichtbar und darum so sicher sind.“ Dede Semid war immer noch Italienerin genug, um sogleich an die Gifte der päpstlichen Borgia zu denken, deren große Tradition in ihrem Vaterland noch sehr lebendig war.
„Das Köschk Hebetullah wäre kein gesunder Aufenthalt für mich“, fuhr Roxelane fort. „Siehst du das ein? Saffieje Sultana begehrt seit langem das Köschk, und ihr hilft Lokman Aga, weil er der Walide ergeben ist. Überlege doch! Auf der Gegenseite steht die große Mutter, die Kaisermutter, die für Saffieje eintritt, und hier bin ich, ein Mädchen aus Bagdscheserai. Und wo ich vorher
Weitere Kostenlose Bücher