Roxelane
war, mag ich dir gar nicht erst sagen; denn du bist als feine Dame geboren und würdest es doch nicht begreifen. Was kann ich gegen Solimans Mutter? Nimm doch Vernunft an, Dede Semid!“
Ohne daß Roxelane mehr verriet als sie wollte, redeten sich die beiden Frauen, die ältere und die ganz junge, in eine Vertraulichkeit hinein, die sie einander vorher nie gezeigt hatten. Ein kleiner Unterschied war freilich dabei: Dede Semid wahrte einen kaum merklichen Abstand. Aber es war ein Abstand, der Roxelane zur Höhergestellten machte.
Dede Semid war schon als Mädchen tapfer und trotz aller Vorsicht nie feige gewesen. Doch von Roxelane strömte eine Kraft aus, von der die Gouvernante auch jetzt noch überwältigt wurde, trotzdem sie die Niederlage des Mädchens bei Soliman fast als gewiß annehmen mußte. Jedenfalls barg ihre Frage: „Konntest du den Herrn denn nicht zum Bleiben bewegen .. .?“ kaum noch einen Zweifel.
„Ich habe ihn nicht darum gebeten“, antwortete Roxelane kurz. „Und er hat nichts hinterlassen?“ empörte sich Dede Semid. „Keine Befehle? Keine Anordnung, was mit dir geschehen soll?“
„Männer können schrecklich vergeßlich sein“, lachte Roxelane, „besonders wenn die Männer Kaiser sind.“
Und tatsächlich hatte Soliman in der Hast des Aufbruchs nicht an das gedacht, was der Frau Dede Semid so am Herzen lag. Er war eben gewohnt, daß alles ohne besondere Befehle so geschah, wie es geschehen mußte. Wozu hatte er denn seinen Hofstaat? Seinen Kislar Aga? Seine Obersthofmeisterin? Und ein ganzes Heer beamteter Frauen und Eunuchen?
Vor Dede Semid rechtfertigte ihn das jedoch keineswegs. Freilich wußte sie auch mehr über das Serail und dessen strittige Zuständigkeiten als Soliman selbst. Ehe ein einziger von all diesen Würdenträgern in einer so heiklen Sadie, wie es Roxelanes war, eine Verantwortung übernahm, lieber tat keiner etwas. Um Geringeres hatte Dede Semids Mann damals seinen Kopf verloren.
„Unglaublich!“ sagte sie denn auch, und es war ein Beweis ihrer bedingungslosen Hingabe an Roxelane, daß sie sich ganz unumwunden äußerte. „Der Kaiser“, fügte sie nämlich noch hinzu, „benimmt sich nicht wie ein gebildeter Herr, sondern wie ein Berberiner!“
Seit ihrer Gefangennahme durch einen tunesischen Kaper hatte sie etwas gegen die ,Berberiner‘.
„Ich bin nicht schlechter daran als vorher“, meinte Roxelane jedoch. „Doch!“ behauptete aber Dede Semid. „Natürlich bist du schlechter daran. Denn du bist jetzt eine Hanum, und man hat dir anders zu begegnen als vorher. Aber ich werde zur Hofmeisterin gehen, und wenn das nicht hilft, zum Palastmarschall“, drohte sie. „Und wenn es sein muß, wende ich mich an die Kiajai und den Kislar. Du sollst deine eigenen Räume und deine eigene Bedienung haben!“
Roxelane dachte nach.
Ihre Witterung für Gefahr war noch immer so gut wie einst auf Chortiza, und daß der Schwächere täuschen müsse, war ein Grundsatz, der für sie nichts mit Mut oder Feigheit zu tun hatte.
Außerdem wußte man in Dede Semids Mädchenkompanie mehr über Saffieje Sultana als anderswo, weil die Mädel mit ihrer Gouvernante unmittelbar neben der Hofhaltung der Chasseki untergebracht waren. Daher war sich Roxelane der Gefährlichkeit Ihrer Hoheit auch vollkommen bewußt.
Saffieje teilte so wenig - wie Roxelane gesonnen war, es zu tun. Aber wenn gekämpft werden mußte, so war dies Roxelanes eigener Kampf, bei dem ihr Soliman nicht helfen konnte. Er hätte sie nicht einmal verstanden. Sie nicht, und Saffieje hätte er auch nicht verstanden. Trotzdem hatte Roxelane nichts gegen diesen Kampf. Doch sie wollte ihn nicht mit der Sonne und dem Wind gegen sich haben. Herankommen an ihre Gegnerin wollte sie und nicht vorher aus dem Hinterhalt erledigt werden.
Bis die Zeit aber für einen Zusammenstoß reif sein würde, machte es ihr wenig aus, für das komische Mädchen, für das untaugliche Mittel zu gelten, dessen sich der Padischah bedient habe, um seiner Frau eine Lehre zu geben, das dann jedoch zu häßlich gewesen und wieder fortgeschickt worden sei.
Das mußte und sollte die allgemeine Deutung von Solimans Gelächter sein. Das kaiserliche Lachen, in das der ganze Harem ruhig mit einstimmen mochte, war Roxelanes beste Verschanzung.
Dede Semid freilich lachte nicht. Dede Semid war traurig.
Doch sie gehörte zu den wenigen Menschen, die das Leben keineswegs immer so nahmen, wie es sich zu ergeben schien, und solche Menschen konnten
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