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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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können sich dahinten auf den Stuhl setzen. Aber halten Sie bloß den Mund.«
    »Charmant wie immer«, sagte Mrs Jenkins, setzte sich aber folgsam auf den ihr zugewiesenen Stuhl.
    »Wir sehen uns gleich«, sagte Mr George zu mir. Er hielt eines der kleinen Röhrchen mit meinem Blut in die Höhe. »Ich gehe tanken«, setzte er mit einem Grinsen hinzu.
    »Wo steht dieser Chronograf denn? Und wie sieht er aus?«, fragte ich, als die Tür hinter Mr George ins Schloss gefallen war. »Kann man sich hineinsetzen?«
    »Die letzte Person, die mich über den Chronografen ausgefragt hat, hat ihn knapp zwei Jahre später gestohlen.« Dr. White zog die Kanüle aus meinem Arm und presste ein Stück Verbandsmull gegen die Einstichstelle. »Du verstehst also sicher, dass ich mich mit der Beantwortung der Fragen zurückhalte.«
    »Der Chronograf wurde gestohlen?«
    Der kleine Geisterjunge namens Robert nickte heftig.
    »Von deiner reizenden Cousine Lucy höchstpersönlich«, sagte Dr. White. »Ich kann mich noch gut erinnern, wie sie das erste Mal hier saß. Sie wirkte genauso harmlos und unbedarft wie du jetzt.«
    »Lucy ist nett«, sagte Robert. »Ich mag sie.« Weil er ein Geist war, kam es ihm wahrscheinlich wie gestern vor, dass er Lucy zum letzten Mal gesehen hatte.
    »Lucy hat den Chronografen gestohlen? Warum das denn?«
    »Was weiß denn ich? Schizoide Persönlichkeitsstörung vermutlich«, knurrte Dr. White. »Liegt offensichtlich in der Familie. Alles hysterische Weiber, diese Montroses. Und Lucy verfügte überdies noch über ein gutes Maß krimineller Energie.«
    »Dr. White!«, sagte Mrs Jenkins. »Das ist doch gar nicht wahr!«
    »Sollten Sie nicht den Mund halten?«, sagte Dr. White.
    »Aber wenn Lucy den Chronografen gestohlen hat, wie kann er dann hier sein?«, fragte ich.
    »Ja, wie kann er das wohl?« Dr. White löste den Gurt von meinem Arm. »Es gibt eben noch einen zweiten, du Schlauköpfchen. Wann war deine letzte Tetanusimpfung?«
    »Weiß nicht. Es gibt also mehrere Chronografen?«
    »Nein, nur diese zwei«, sagte Dr. White. »Gegen Pocken bist du offenbar nicht geimpft.« Er klopfte prüfend gegen meinen Oberarm. »Irgendwelche chronischen Krankheiten? Allergien?«
    »Nein. Ich bin auch nicht gegen Pest geimpft. Oder gegen Cholera. Oder Blattern.« Ich musste an James denken. »Kann man gegen die Blattern überhaupt impfen? Ein Freund von mir ist, glaube ich, daran gestorben.«
    »Das glaube ich wohl kaum«, sagte Doktor White. »Blattern ist nur ein anderer Name für Pocken. Und an denen ist hier schon länger niemand mehr gestorben.«
    »Mein Freund ist ja auch schon länger tot.«
    »Ich dachte immer, Blattern wäre ein anderer Name für Masern«, sagte Mrs Jenkins.
    »Und ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass Sie schweigen, Mrs Jenkins.«
    Mrs Jenkins schwieg.
    »Warum sind Sie eigentlich zu allen so unfreundlich?«, fragte ich. »Aua!«
    »War doch nur ein kleiner Piks«, sagte Dr. White. »Was war das denn?«
    »Das willst du gar nicht wissen, glaub mir.« Ich seufzte. Der kleine Geist namens Robert seufzte auch. »Ist er immer so?«, fragte ich ihn. »Meistens«, antwortete Robert. »Er meint das gar nicht so«, sagte Mrs Jenkins. »Mrs Jenkins!« »Schon gut.«
    »Ich bin fürs Erste fertig. Bis zum nächsten Mal habe ich deine Blutwerte und vielleicht rückt deine reizende Mama ja auch deinen Impfpass und deine Krankengeschichte heraus.«
    »Ich war nie krank. Bin ich jetzt gegen Pest geimpft?«
    »Nein. Das bringt auch nicht wirklich was. Hält immer nur ein halbes Jahr vor und die Nebenwirkungen sind beträchtlich.
    Wenn es nach mir geht, wirst du ohnehin niemals in ein Pestjahr reisen. Du kannst dich anziehen. Mrs Jenkins wird dich nach oben zu den anderen bringen. Ich komme in einer Minute nach.«
    Mrs Jenkins erhob sich. »Komm, Gwendolyn. Du hast sicher Hunger, es gibt gleich Essen. Mrs Mallory hat heute Kalbsbraten und Spargel zubereitet. Sehr delikat.«
    Hunger hatte ich in der Tat. Sogar auf Kalbsbraten mit Spargel, wovon ich normalerweise kein großer Fan war.
    »Weißt du, der Doktor ist eigentlich ein herzensguter Mensch«, sagte Mrs Jenkins auf dem Weg nach oben. »Es fällt ihm nur ein bisschen schwer, freundlich zu sein.«
    »Ja, offensichtlich.«
    »Früher war er ganz anders. Fröhlich, immer gut drauf, er trug zwar schon damals diese furchtbaren schwarzen Anzüge, aber wenigstens bunte Krawatten dazu. Das war, bevor sein kleiner Sohn starb ... ach, eine schlimme

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