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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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war eine Ausnahmesituation. Ich fand, dass ich ein Anrecht auf Entschädigung hatte. Außerdem musste ich ja testen, ob es überhaupt funktionierte, Gegenstände aus der Vergangenheit mit in die Gegenwart zu nehmen. Ich hatte nicht die Spur eines schlechten Gewissens und das wunderte mich selber, da ich mich sonst ja schon moralisch entrüstete, wenn Leslie sich bei Harrods in der Feinkostabteilung mehr als einen der kostenlosen Probierhappen nahm oder - wie neulich erst - eine Blume aus einem Beet im Park pflückte.
    Ich konnte mich nur nicht entscheiden. Der Dolch sah am wertvollsten aus. Wenn die Steine in seinem Griff echt waren, war er sicher ein Vermögen wert. Aber was sollte Leslie mit einem Dolch anfangen? Ein Siegel würde ihr sicher besser gefallen. Aber welches?
    Meine Entscheidung wurde mir einfach abgenommen, denn das Schwindelgefühl kehrte zurück. Als der Schreibtisch vor meinen Augen verschwamm, griff ich nach dem erstbesten Gegenstand, den ich noch packen konnte.
    Ich landete sanft auf meinen Füßen. Helles Licht blendete mich. Schnell ließ ich den Schlüssel, den ich in letzter Sekunde gegriffen hatte, zu meinem Handy in die Tasche gleiten und sah mich im Raum um. Alles war genau wie vorhin, als ich mit Mr George Tee getrunken hatte, der Raum war angenehm warm durch das flackernde Kaminfeuer.
    Aber Mr George war nicht mehr allein. Er stand mit Falk de Villiers und dem unfreundlichen grauen Doktor White (samt des kleinen blonden Geist-Jungen) in der Raummitte, wo sie sich leise unterhielten. Gideon de Villiers lehnte lässig mit dem Rücken an einem der Bücherschränke. Er war der Erste, der mich bemerkte.
    »Hallo, Wendy«, sagte er.
    »Gwendolyn«, erwiderte ich. Meine Güte, das war doch nun wirklich nicht so schwer zu merken. Ich nannte ihn ja auch nicht
Gisbert.
    Die drei anderen Männer fuhren herum und starrten mich an, Doktor White mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen, Mr George offensichtlich hocherfreut.
    »Das waren fast fünfzehn Minuten«, sagte er. »Ist alles in Ordnung mit dir, Gwendolyn? Fühlst du dich gut?«
    Ich nickte.
    »Hat dich jemand gesehen?«
    »Es war niemand da. Ich habe mich nicht von der Stelle gerührt, wie Sie gesagt haben.« Ich reichte Mr George die Taschenlampe und seinen Siegelring. »Wo ist meine Mum?«
    »Sie ist oben bei den anderen«, sagte Mr de Villiers knapp.
    »Ich will mit ihr sprechen.«
    »Keine Sorge, das kannst du auch. Nachher«, sagte Mr George. »Aber zuerst... oh, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Er strahlte über das ganze Gesicht. Worüber freute er sich denn so?
    »Meinen Neffen, Gideon, kennst du ja bereits«, sagte Mr de Villiers. »Er hat das, was du jetzt durchmachst, bereits seit zwei Jahren hinter sich. Allerdings war er besser vorbereitet als du. Es wird schwer werden, all das nachzuholen, was in den vergangenen Jahren bei dir versäumt wurde.«
    »Schwer? Ich würde eher sagen, unmöglich«, sagte Dr. White.
    »Das ist ja auch gar nicht nötig«, sagte Gideon. »Ich kann das alles viel besser allein schaffen.«
    »Wir werden sehen«, sagte Mr de Villiers.
    »Ich glaube, ihr unterschätzt das Mädchen«, sagte Mr George. Er schlug einen feierlichen, beinahe salbungsvollen Tonfall an. »Gwendolyn Shepherd! Du bist jetzt Teil eines uralten Geheimnisses. Und es wird Zeit, dass du dieses Geheimnis zu verstehen lernst. Zuerst solltest du wissen . . .«
    »Wir sollten nichts überstürzen«, fiel Dr. White ihm ins Wort. »Sie mag das Gen haben, aber das heißt noch lange nicht, dass man ihr vertrauen kann.«
    »Oder dass sie überhaupt versteht, worum es geht«, ergänzte Gideon.
    Aha. Er hielt mich offensichtlich für ein bisschen beschränkt. Eingebildeter Blödmann.
    »Wer weiß, welche Instruktionen sie von ihrer Mutter bekommen hat«, sagte Dr. White. »Und wer weiß, von wem diese wiederum ihre Instruktionen erhalten hat. Wir haben nur noch diesen einen Chronografen, einen weiteren Patzer können wir uns nicht erlauben. Das möchte ich einfach nur zu bedenken geben.«
    Mr George sah aus, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. »Man kann die Dinge auch unnötig verkomplizieren«, murmelte er.
    »Ich nehme sie jetzt mit in mein Behandlungszimmer«, sagte Dr. White. »Nichts für ungut, Thomas. Aber für Erklärungen ist später immer noch Zeit.«
    Mir lief es bei seinen Worten kalt den Rücken hinab. Das Letzte, was ich wollte, war, mit Dr. Frankenstein in ein
Behandlungszimmer
zu gehen. »Ich will meine Mum«, sagte

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