Rubinrot
ich, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich anhörte wie ein Kleinkind.
Gideon schnalzte verächtlich mit der Zunge.
»Du musst keine Angst haben, Gwendolyn«, beteuerte Mr George. »Wir brauchen nur ein bisschen Blut von dir, außerdem ist Dr. White für deinen Immunschutz und deine Gesundheit zuständig. In der Vergangenheit lauern leider jede Menge gefährliche Erreger, die der Organismus der Menschen heute gar nicht mehr kennt. Es wird auch ganz schnell gehen.«
War ihm eigentlich klar, wie fürchterlich sich das anhörte?
Wir brauchen nur ein bisschen Blut von dir . .
. und ... es
wird auch ganz schnell gehen -
meine Güte!
»Aber ich . . . ich will nicht allein sein mit Doktor Franken. . . White«, sagte ich. Jetzt war es auch egal, ob dieser Mensch mich für höflich hielt oder nicht. Außerdem hatte er selber überhaupt keine Manieren. Und was Gideon anging - sollte der doch von mir denken, was er wollte!
»Dr. White ist nicht so . . . herzlos, wie es dir scheinen mag«, sagte Mr George. »Du musst wirklich nicht. . .«
»Doch, muss sie«, knurrte Dr. White.
Jetzt wurde ich langsam wütend. Was bildete sich dieser blasierte Knochen eigentlich ein? Der sollte sich erst mal einen Anzug kaufen, der eine richtige Farbe hatte!
»Ach ja? Was tun Sie denn, wenn ich mich weigere?«, fauchte ich und registrierte gleichzeitig, dass seine Augen hinter der schwarz umrandeten Brille, die mich zornig anfunkelten, rot und entzündet waren.
Toller Arzt, dachte ich. Konnte nicht mal sich selbst kurieren.
Ehe Dr. White sich ausdenken konnte, was er mit mir tun würde (meine Fantasie malte sich in Windeseile ein paar unappetitliche Details aus), mischte sich zu meiner Erleichterung Mr de Villiers ein. »Ich werde Mrs Jenkins Bescheid geben lassen«, sagte er und seine Stimme klang, als dulde er keinen Widerspruch. »Mr George wird mitgehen, bis sie da ist.«
Ich warf dem Arzt einen triumphierenden Blick zu, einen von der Sorte, die quasi die Zunge rausstreckten, aber er ignorierte mich.
»Wir treffen uns dann in einer halben Stunde oben im Drachensaal«, fuhr Mr de Villiers fort.
Ich wollte nicht, aber im Hinausgehen drehte ich mich noch einmal schnell zu Gideon um, um zu sehen, ob mein Triumph über Dr. White Eindruck auf ihn gemacht hatte. Offenbar nicht, denn er guckte auf meine Beine. Wahrscheinlich verglich er sie gerade mit Charlottes Beinen.
Mist! Ihre waren länger und dünner. Und ganz sicher hatte sie keine Kratzer an den Waden, weil sie vergangene Nacht zwischen Gerumpel und ausgestopften Krokodilen herumgekrochen war.
Doktor Whites Behandlungszimmer sah aus wie ein x-beliebiges Arztzimmer. Und als Dr. White sich einen weißen Kittel über seinen Anzug streifte und sich lange und gründlich die Hände wusch, sah auch er aus wie ein x-beliebiger Arzt. Nur der kleine blonde Geisterjunge an seiner Seite war ein wenig ungewöhnlich.
»Die Jacke aus und den Ärmel hoch«, sagte Dr. White.
Mr George übersetzte für ihn. »Bitte sei so lieb, zieh deine Jacke aus und krempele die Ärmel hoch.«
Der kleine Geist schaute interessiert zu. Als ich ihn anlächelte, versteckte er sich schnell hinter Dr. White, nur um eine Sekunde später wieder hervorzuschauen. »Siehst du mich etwa?«
Ich nickte.
»Weggucken«, knurrte Dr. White, während er mir den Arm abband.
»Ich kann gut Blut sehen«, sagte ich. »Auch wenn es mein eigenes ist.«
»Die anderen können mich nicht sehen«, sagte der kleine Geist. »Ich weiß«, sagte ich. »Ich heiße Gwendolyn. Und du?« »Für dich immer noch Dr. White«, sagte Dr. White. »Ich heiße Robert«, sagte der Geist.
»Das ist ein sehr schöner Name«, sagte ich.
»Vielen Dank«, sagte Dr. White. »Dafür hast du sehr schöne Venen.« Ich hatte den Einstich kaum gespürt. Sorgfältig füllte Dr. White ein Röhrchen mit meinem Blut. Dann tauschte er das volle Röhrchen gegen ein leeres und ließ es ebenfalls volllaufen.
»Sie spricht nicht mit
dir,
Jake«, sagte Mr George.
»Ach nein? Mit wem denn?«
»Mit Robert«, sagte ich.
Dr. Whites Kopf zuckte nach oben. Zum ersten Mal sah er mich direkt an. »Wie bitte?« »Ach nichts«, sagte ich.
Dr. White grummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Mr George lächelte mir verschwörerisch zu.
Es klopfte. Mrs Jenkins, die Sekretärin mit der dicken Brille, trat ein.
»Ach, da sind Sie ja endlich«, sagte Dr. White. »Du kannst dich vom Acker machen, Thomas. Mrs Jenkins wird jetzt den Anstandswauwau spielen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher