Rubinrot
Defekt, der dafür sorgte, dass sie für Frauen nur ein verächtliches Grinsen übrig hatten? Andererseits war er zu Charlotte sehr zuvorkommend gewesen. Und ich musste zugeben, dass er sich im Moment zumindest einigermaßen benahm.
»Warum nennt ihr eure eigene Großmutter eigentlich immer Lady Arista?«, fragte er. »Warum sagt ihr nicht Grandma oder Granny, wie andere Kinder auch?«
»Das ist eben so«, sagte ich. »Warum dürfen Frauen nicht Mitglieder werden?«
Gideon streckte einen Arm nach mir aus und schob mich hinter sich. »Halt mal für eine Weile den Mund.«
»Wie bitte?«
Am Ende des Gangs befand sich eine weitere Treppe. Von oben fiel Tageslicht herab, aber bevor wir die Treppe erreichten, traten zwei Männer mit gezückten Degen aus dem Schatten, als ob sie dort auf uns gewartet hätten.
»Guten Tag«, sagte Gideon, der im Gegensatz zu mir nicht mal zusammengezuckt war. Aber er hatte die Hand an seinen Degen gelegt.
»Parole!«, rief der erste Mann.
»Ihr wart doch gestern schon mal hier«, sagte der andere Mann und trat einen Schritt näher, um Gideon zu betrachten. »Oder Euer jüngerer Bruder. Die Ähnlichkeit ist verblüffend.«
»Ist das der Junge, der aus dem Nichts erscheinen kann?«, fragte der andere Mann. Beide Männer begafften Gideon mit offenem Mund. Sie trugen ähnliche Kleidung wie Gideon und Madame Rossini hatte offenbar wirklich recht: Der Rokoko-Mann liebte es bunt. Diese hier hatten Türkis mit lila Blümchen zu Rot und Braun kombiniert und der eine trug tatsächlich einen zitronengelben Gehrock. Es hätte fürchterlich aussehen müssen, aber es hatte irgendwie was. Es war eben nur ein bisschen bunt.
Auf dem Kopf trugen die beiden Perücken, die über den Ohren wurstähnliche Locken bildeten und im Nacken noch einen kleinen Extrazopf hatten, der mit einem Samtband zusammengebunden war.
»Sagen wir, ich kenne Wege in dieses Haus, die Euch nicht bekannt sind«, sagte Gideon mit einem arroganten Lächeln. »Ich und meine Begleiterin müssen den Meister sprechen. In einer dringenden Angelegenheit.«
»Der Esel nennt sich selbst zuerst«, murmelte ich.
»Die Parole?«
Quark edit bisquitis.
Oder so ähnlich.
»Qua redit nescitis«, sagte Gideon. Na, fast.
Weibliche Abstammungslinie
Elaine Burghley
»Opal«
1562 -1580
Cecilia Woodville
»Aquamarin«
1628-1684
Jeanne de Pontcarree, (Madame d'Urfe)
»Citrin«
1705-1775
Margarete Tilney
»Jade«
1877-1944
Lucy Montrose
»Saphir«
(*1976)
Gwendolyn Shepherd
»Rubin«
(*1994)
Aus den Chroniken der Wächter, Band 4, Der Kreis der Zwölf
11.
Der Mann im gelben Rock steckte seinen Degen weg. »Folgt mir.«
Ich sah neugierig aus dem ersten Fenster, an dem wir vorbeikamen. Das also war das 18. Jahrhundert. Meine Kopfhaut begann vor Aufregung zu kribbeln. Ich sah aber nur auf einen hübschen Innenhof mit einem Springbrunnen in der Mitte, den ich genau so schon einmal gesehen hatte.
Wieder ging es eine Treppe hinauf. Gideon ließ mir den Vortritt.
»Du warst gestern erst hier?«, fragte ich neugierig. Ich flüsterte, damit der Gelbe uns nicht verstehen konnte. Er ging nur ein paar Schritte vor uns her.
»Für sie ist es gestern gewesen«, sagte Gideon. »Für mich ist es fast zwei Jahre her.«
»Und warum warst du hier?«
»Ich habe mich dem Grafen vorgestellt und musste ihm mitteilen, dass der erste Chronograf gestohlen worden ist.« »Das fand er sicher nicht so klasse.«
Der Gelbe tat so, als würde er uns nicht zuhören, aber man konnte förmlich sehen, wie sich seine Ohren unter den weißen Haarwürsten anstrengten.
»Er hat es mit mehr Fassung aufgenommen, als ich dachte«, sagte Gideon. »Und er war - nach dem ersten Schrecken - hocherfreut, dass der zweite Chronograf tatsächlich funktionstüchtig war und wir somit noch eine Chance haben, alles zu einem guten Ende zu bringen.«
»Wo ist der Chronograf denn jetzt?«, flüsterte ich. »Ich meine, in diesem Augenblick in dieser Zeit?«
»Vermutlich irgendwo in diesem Gebäude. Der Graf wird sich nie lange von ihm trennen, denn auch er muss elapsieren, um unkontrollierte Zeitsprünge zu verhindern.«
»Warum können wir den Chronografen hier dann nicht einfach mit in die Zukunft zurücknehmen?«
»Aus vielerlei Gründen«, sagte Gideon. Sein Tonfall hatte sich geändert. Nicht mehr ganz so arrogant. Aber dafür gönnerhaft.
»Die wichtigsten liegen wohl auf der Hand. Eine der zwölf goldenen Regeln der Wächter zum
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