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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Pferde- und anderem Mist.
    Noch nie hatte ich so viele Pferde auf einmal gesehen. Unsere Kutsche wurde allein von vieren gezogen, alle vier schwarz und wunderschön. Der Mann im gelben Rock saß auf dem Kutschbock und lenkte die Tiere mitten durchs Gewühl, in einem halsbrecherischen Tempo. Die Kutsche schaukelte wild, und wenn die Pferde eine Kurve nahmen, dachte ich jedes Mal, wir würden umkippen. Vor Angst und weil ich mich so anstrengte, bei dem Geholpere nicht gegen Gideon zu kippen, bekam ich kaum etwas von dem London mit, das draußen vor dem Kutschenfenster vorbeizog. Wenn ich hinausschaute, kam mir nichts, aber auch gar nichts bekannt vor. Es war, als wäre ich in einer vollkommen anderen Stadt gelandet.
    »Das ist der Kingsway«, sagte Gideon. »Nicht wiederzuerkennen, nicht wahr?«
    Unser Kutscher startete ein waghalsiges Überholmanöver, vorbei an einem Ochsengespann und einer Kutsche, die unserer ähnelte. Diesmal konnte ich nicht verhindern, dass mich die Schwerkraft gegen Gideon schleuderte.
    »Dieser Kerl denkt wohl, er ist Ben Hur«, sagte ich, während ich wieder in meine Ecke rutschte.
    »Das Kutschieren macht einen Heidenspaß«, sagte Gideon und es klang, als würde er den Mann auf dem Kutschbock beneiden.
    »Noch lustiger ist es natürlich mit einem offenen Wagen. Ich bevorzuge einen Phaeton.«
    Wieder schwankte die Kutsche und ich verspürte allmählich leichte Übelkeit. Das war auf jeden Fall nichts für schwache Mägen. »Ich bevorzuge, glaube ich, einen Jaguar«, sagte ich matt.
    Immerhin musste ich zugeben, dass wir schneller in der Wigmore Street hielten, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich sah mich um, als wir vor einem prächtigen Haus ausstiegen, aber ich erkannte nichts aus unserer Zeit in diesem Teil der Stadt, obwohl ich leider öfter, als mir lieb war, zum Zahnarzt musste. Trotzdem hing ein vager Hauch von Vertrautheit über allem. Und es hatte aufgehört zu regnen.
    Der Lakai, der uns die Tür öffnete, behauptete zunächst, Lord Brompton sei außer Haus, aber Gideon versicherte ihm glaubhaft, dass ihm das Gegenteil bekannt sei und dass der Lakai, sollte er uns beide nicht auf der Stelle zu seiner Lordschaft und dessen Besuch führen, seine Anstellung noch am selben Tag verlieren würde. Er drückte dem eingeschüchterten Mann seinen Siegelring in die Hand und befahl ihm, sich zu beeilen.
    »Hast du einen eigenen Siegelring?«, fragte ich, während wir in der Eingangshalle warteten.
    »Ja, natürlich«, sagte Gideon. »Bist du sehr aufgeregt?«
    »Warum? Sollte ich?« Die Kutschfahrt saß mir noch so in den Knochen, dass ich mir fürs Erste nichts Aufregenderes vorstellen konnte. Aber jetzt, wo er es sagte, fing mein Herz wie wild an zu klopfen. Ich musste daran denken, was meine Mutter über den Grafen von Saint Germain gesagt hatte. Wenn dieser Mann wirklich Gedanken lesen konnte . ..
    Ich tastete nach den aufgesteckten Haaren, wahrscheinlich war durch die Kutschfahrt alles durcheinandergeraten.
    »Sitzt tadellos«, sagte Gideon mit einem leichten Lächeln.
    Was hieß das jetzt schon wieder? Wollte er mich unbedingt nervös machen?
    »Weißt du, was? Unsere Köchin heißt auch Brompton«, sagte ich, um meine Verlegenheit zu überspielen.
    »Ja, die Welt ist klein«, sagte Gideon.
    Der Lakai kam mit fliegenden Rockschößen die Treppe hinuntergerannt. »Die Herrschaften erwarten Euch, Sir.«
    Wir folgten dem Mann in den ersten Stock.
    »Kann er wirklich Gedanken lesen?«, flüsterte ich.
    »Der Lakai?«, flüsterte Gideon zurück. »Ich hoffe nicht. Ich habe gerade gedacht, dass er aussieht wie ein Wiesel.«
    War das etwa ein Anflug von Humor? Mir-aus-dem-Weg-ich-bin-auf-einer-wichtigen-Zeitreise-Mission machte tatsächlich einen Scherz? Ich grinste rasch. (Immerhin sollte man so etwas positiv verstärken.)
    »Nicht der Lakai. Der Graf«, sagte ich dann.
    Er nickte. »Das behauptet man jedenfalls.«
    »Hat er
deine
Gedanken gelesen?«
    »Wenn ja, habe ich nichts davon gemerkt.«
    Der Lakai öffnete uns eine Tür und machte eine tiefe Verbeugung. Ich blieb stehen. Vielleicht sollte ich einfach gar nichts denken? Aber das war schlicht unmöglich. Kaum versuchte ich, an gar nichts zu denken, schoss mir eine Million Gedanken durch den Kopf.
    »Die Dame zuerst«, sagte Gideon und schob mich sacht über die Schwelle.
    Ich machte ein paar Schritte vorwärts, dann blieb ich wieder stehen, unschlüssig, was jetzt von mir erwartet wurde. Gideon folgte mir, der Lakai schloss

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