Rubinrot
nach einer weiteren tiefen Verbeugung die Tür hinter uns.
Wir standen in einem großen, nobel eingerichteten Salon mit hohen Fenstern und bestickten Vorhängen, die sich wahrscheinlich auch gut als Kleid gemacht hätten.
Drei Männer blickten uns entgegen. Der erste war ein dicker Mann, der sich nur mit Mühe von seinem Stuhl hochstemmen konnte, der zweite ein jüngerer, extrem muskulös gebauter Mann, der als einziger keine Perücke trug, und der dritte war schlank und hochgewachsen, seine Gesichtszüge glichen denen auf dem Porträt im Dokumentenraum.
Der Graf von Saint Germain.
Gideon verbeugte sich, wenn auch nicht so tief wie der Lakai. Die drei Männer verneigten sich ebenfalls.
Ich machte gar nichts. Niemand hatte mir beigebracht, wie man in einem Reifrock knickst. Außerdem fand ich Knickse albern.
»Ich hatte nicht gedacht, Euch so schnell wiederzutreffen, junger Freund«, sagte der, den ich für den Grafen von Saint Germain hielt. Er strahlte über das ganze Gesicht. »Lord Brompton, darf ich Euch den Urururenkel meines Urururenkels vorstellen? Gideon de Villiers.«
»Lord Brompton!« Wieder eine kleine Verneigung. Offensichtlich war das Händeschütteln noch nicht in Mode.
»Ich finde, meine Linie hat sich zumindest optisch ganz prächtig entwickelt«, sagte der Graf. »Offenbar hatte ich bei der Wahl meiner Herzensdame doch ein glückliches Händchen. Das übertrieben Hakennasige hat sich vollständig ausgewachsen.«
»Ach, werter Graf! Ihr versucht wieder mal, mich mit Euren unglaublichen Geschichten zu beeindrucken«, sagte Lord Bromp-ton, während er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ, der so winzig aussah, dass ich Angst hatte, er könnte auf der Stelle zusammenbrechen. Der Lord war nicht etwa ein bisschen rundlich wie Mr George - der Mann war extrem fett!
»Aber ich habe nichts dagegen«, fuhr er fort und seine Schweinsäuglein schauten vergnügt. »Es ist immer sehr unterhaltsam mit Euch. Alle paar Sekunden gibt es eine Überraschung.«
Der Graf lachte und wandte sich an den jüngeren Mann ohne Perücke. »Lord Brompton ist und bleibt ein Ungläubiger, mein lieber Miro! Wir müssen uns schon etwas mehr überlegen, um ihn von unserer Sache zu überzeugen.«
Der Mann antwortete etwas in einer fremden, hart und abgehackt klingenden Sprache und wieder lachte der Graf. Er drehte sich zu Gideon um. »Das, mein lieber Enkel, ist mein guter Freund und Seelenbruder Miro Rakoczy, in den Annalen der Wächter besser bekannt als
der schwarze Leopard.«
»Sehr erfreut«, sagte Gideon.
Wieder Verbeugungen von allen Seiten.
Rakoczy - woher kam mir dieser Name bekannt vor? Und warum überkam mich bei seinem Anblick solches Unbehagen?
Ein Lächeln kräuselte die Lippen des Grafen, als sein Blick langsam an meiner Gestalt herabglitt. Ich suchte automatisch nach einer Ähnlichkeit mit Gideon oder Falk de Villiers. Aber ich fand keine. Die Augen des Grafen waren sehr dunkel und sein Blick hatte etwas Durchdringendes, das mich sofort wieder an die Worte meiner Mutter denken ließ.
Denken!
Bloß nicht. Aber irgendwas musste mein Gehirn ja zu tun haben, also sang ich in Gedanken »God save the Queen«.
Der Graf wechselte ins Französische, das ich nicht sofort verstand (zumal ich ja gerade in Gedanken inbrünstig die Nationalhymne sang) aber mit einiger Verzögerung und den Wortlücken, die meine Vokabelschwäche verursachten, so übersetzte: »Und du, hübsches Mädchen, bist also eine Wortlücke der guten Wortlücke Jeanne d'Urfe. Man sagte mir, du hättest rote Haare.«
Tja, das Lernen von Vokabeln war möglicherweise wirklich das A und 0 zum Verständnis einer Fremdsprache, wie unser Französischlehrer immer sagte. Ich kannte auch keine Jeanne d'Urfe, leider, weshalb es mir nicht gelang, mir den Sinn des Satzes vollständig zusammenzureimen.
»Sie versteht kein Französisch«, sagte Gideon, ebenfalls auf Französisch. »Und sie ist nicht das Mädchen, das Ihr erwartet habt.«
»Wie kann das sein?« Der Graf schüttelte den Kopf. »Das ist alles höchst Wortlücke.«
»Leider wurde das falsche Mädchen auf die Wortlücke vorbereitet.«
Ja,
leider.
»Ein Irrtum? Das Ganze scheint mir ohnehin ein einziger Irrtum zu sein.«
»Das ist Gwendolyn Shepherd, sie ist eine Cousine besagter Charlotte Montrose, von der ich Euch gestern erzählte.«
»Also auch eine Enkelin von Lord Montrose, dem letzten Wortlücke. Und damit eine Cousine der Wortlücke?« Der Graf von Saint Germain betrachtete mich
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