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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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geschmeidige Seitwärtsdrehung verhinderte einen Treffer, der ihm vermutlich den halben Arm abgerissen hätte. Ich hörte Holz splittern, als der Degen stattdessen die Kutsche traf.
    Das durfte doch alles nicht wahr sein! Wer waren diese Typen und was wollten sie von uns?
    Hastig rutschte ich auf der Bank zurück und spähte auf der anderen Seite durchs Fenster. Sah denn niemand, was hier passierte? Konnte man tatsächlich am helllichten Nachmittag im Hyde Park überfallen werden? Der Kampf schien mir schon eine Ewigkeit anzudauern.
    Obwohl Gideon sich gut gegen die Übermacht hielt, sah es nicht so aus, als könne er sich jemals einen Vorteil verschaffen. Die beiden anderen Männer würden ihn mehr und mehr in die Enge drängen und am Ende würden sie siegen.
    Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit seit dem Schuss vergangen war oder wie lange es noch dauern würde bis zu unserem Zeitsprung. Vermutlich zu lange, um zu hoffen, dass wir uns vor den Augen der Angreifer in Luft auflösen würden. Ich hielt es nicht mehr aus, in der Kutsche zu sitzen und einfach nur zuzusehen, wie die beiden Gideon umbrachten.
    Vielleicht konnte ich durch das Fenster klettern und Hilfe holen?
    Einen kurzen Augenblick lang bangte ich, ob der riesige Rock durch die Öffnung passen würde, aber eine Sekunde später stand ich auf dem Fahrweg im Sand und versuchte, mich zu orientieren.
    Von der anderen Seite der Kutsche waren nur Keuchen, Fluchen und das unbarmherzige Klirren von Metall auf Metall zu vernehmen.
    »Ergebt Euch doch einfach«, keuchte einer der Fremden. »Niemals!«, antwortete Gideon.
    Vorsichtig bewegte ich mich nach vorne zu den Pferden. Dabei wäre ich beinahe über etwas Gelbes gestolpert. Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Aufschrei. Es war der Mann im gelben Rock.
    Er war vom Kutschbock gerutscht und lag rücklings im Sand. Mit Schrecken sah ich, dass ihm ein Teil seines Gesichtes fehlte und seine Kleidung mit Blut getränkt war. Das Auge der unversehrten Gesichtshälfte stand weit auf und schaute ins Leere.
    Ihm hatte der Schuss vorhin gegolten. Der Anblick war zu schrecklich, ich spürte, wie sich mir der Magen umdrehte. Ich hatte noch nie einen Toten gesehen. Wie viel hätte ich darum gegeben, jetzt im Kino zu sitzen und einfach wegschauen zu können!
    Aber das hier war Wirklichkeit. Dieser Mann war tot und Gideon steckte dort drüben in echter Lebensgefahr.
    Ein Klirren weckte mich aus meiner Erstarrung. Gideon stöhnte auf und das brachte mich endgültig zur Besinnung.
    Ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich den Degen an der Seite des Toten entdeckt und aus dem Gürtel befreit.
    Er wog schwerer in der Hand, als ich gedacht hatte, aber ich fühlte mich gleich besser. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie ich mit der Waffe umzugehen hatte, aber das Ding war scharf und spitz, so viel stand fest.
    Die Kampfgeräusche rissen nicht ab. Ich riskierte einen Blick um die Ecke und sah, dass es den beiden Männern gelungen war, Gideon mit dem Rücken an die Kutsche zu drängen. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst und fielen ihm wirr in die Stirn. In einem seiner Ärmel klaffte ein tiefer Riss, aber zu meiner Erleichterung konnte ich nirgendwo Blut erkennen. Noch war er unverletzt.
    Ein letztes Mal sah ich mich nach allen Seiten um, aber Hilfe war nicht in Sicht. Ich wog den Degen in meiner Hand und trat entschlossen vor. Zumindest würde mein Erscheinen die beiden Männer ablenken und damit konnte ich Gideon vielleicht einen Vorteil verschaffen.
    Aber in Wirklichkeit war es genau andersherum. Da die beiden Männer mit dem Rücken zu mir kämpften, sahen sie mich nicht, aber Gideons Augen weiteten sich bei meinem Anblick erschrocken.
    Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er und das reichte einem der schwarz gekleideten Fremden, um einen weiteren Treffer zu erzielen, fast an der gleichen Stelle, an der der Ärmel bereits zerschnitten war. Diesmal floss Blut. Gideon focht weiter, als wäre nichts geschehen.
    »Lange haltet Ihr nicht mehr durch«, rief der Mann triumphierend und drang noch heftiger auf Gideon ein. »Betet, wenn Ihr könnt. Denn gleich werdet Ihr Eurem Schöpfer gegenüberstehen.«
    Ich umfasste den Degengriff mit beiden Händen und rannte los, Gideons entsetzten Blick ignorierend. Die Männer hörten mich nicht kommen, sie bemerkten meine Anwesenheit erst, als der Degen durch die schwarzen Kleider in den Rücken des einen gefahren war, ohne den geringsten Widerstand und beinahe lautlos.

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