Rubinrot
Für einen angstvollen Augenblick dachte ich, ich hätte danebengezielt, vielleicht genau die Lücke zwischen Körper und Arm getroffen, aber dann ließ der Mann mit einem Röcheln seine Waffe fallen und stürzte selber zu Boden wie ein abgesägter Baumstamm. Erst als er schon fiel, ließ ich den Griff des Degens los.
Oh mein Gott.
Gideon nutzte die Schrecksekunde des anderen Mannes, um ihm einen Hieb zu versetzen, der ihn ebenfalls in die Knie gehen ließ.
»Bist du verrückt geworden?«, schrie er mich an, während er den Degen seines Gegners mit dem Fuß zur Seite schleuderte und ihm die Spitze seiner Klinge an den Hals legte.
Der Mann verlor auf der Stelle seine ganze Körperspannung. »Bitte . . . lasst mich am Leben«, sagte er.
Meine Zähne begannen aufeinanderzuklappern.
Das kann nicht passiert sein. Ich habe nicht gerade einen Degen in einen Menschen gebohrt.
Dieser Mensch stieß ein Röcheln aus. Der andere sah aus, als würde er gleich weinen.
»Wer seid Ihr und was wollt Ihr von uns?«, fragte Gideon kalt.
»Ich habe nur getan, was man von mir verlangt hat. Bitte!«
»Wer hat was von Euch verlangt?« Ein Tropfen Blut bildete sich unter der Degenspitze am Hals des Mannes. Gideon hatte seine Lippen aufeinandergepresst, als könne er sich nur schwer beherrschen, den Degen stillzuhalten.
»Ich kenne keine Namen, ich schwöre es.« Das ängstlich verzerrte Gesicht begann vor meinen Augen zu verschwimmen, das Grün der Wiese wirbelte um mich herum und beinahe erleichtert ließ ich mich in diesen Strudel fallen und schloss die Augen.
13.
Ich war weich inmitten meiner eigenen Röcke gelandet, aber ich war nicht in der Lage, wieder aufzustehen. Alle Knochen in meinen Beinen schienen sich verflüchtigt zu haben, ich zitterte am ganzen Körper und meine Zähne schlugen wie wild aufeinander.
»Steh auf!« Gideon hielt mir seine Hand hin. Seinen Degen hatte er wieder in den Gürtel geschoben. Es klebte Blut daran, ich sah es mit einem Schaudern. »Komm, Gwendolyn! Die Leute gucken schon.«
Es war Abend und längst dunkel, aber wir waren unter einer Laterne gelandet, irgendwo im Park. Ein Jogger mit Kopfhörern warf uns im Vorbeilaufen einen befremdeten Blick zu.
»Hatte ich nicht gesagt, du sollst in der Kutsche bleiben!« Weil ich nicht reagierte, griff Gideon nach meinem Arm und zog mich auf die Beine. Jede Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Das war überaus leichtsinnig und .. . total .. . gefährlich und . ..« Er schluckte und starrte mich an. ». . . und verdammt noch mal ziemlich mutig.«
»Ich dachte, man müsste spüren, wenn man auf eine Rippe trifft«, sagte ich zähneklappernd. »Ich dachte nicht, dass es ein Gefühl ist wie . . . beim Schneiden einer Torte. Wieso hatte der Mann keine Knochen?«
»Er hatte mit Sicherheit welche«, sagte Gideon. »Du hattest Glück und hast ihn irgendwo dazwischen getroffen.«
»Wird er sterben?«
Gideon zuckte mit den Schultern. »Wenn es ein sauberer Stich war, nicht. Aber die Chirurgie im 18. Jahrhundert kann man nur schlecht mit
Grey's Anatomy
vergleichen.«
Wenn es ein sauberer Stich war? Was sollte das denn heißen?
Wie konnte ein Stich sauber sein?
Was hatte ich nur getan? Ich hatte vielleicht gerade einen Mann umgebracht!
Diese Erkenntnis hätte beinahe dazu geführt, dass ich wieder zu Boden gesunken wäre. Aber Gideon hielt mich fest. »Komm, wir müssen zurück nach Temple. Die anderen werden sich Sorgen machen.«
Offenbar wusste er genau, wo im Park wir uns befanden, denn er zog mich zielstrebig den Weg hinunter, vorbei an zwei Frauen, die ihre Hunde ausführten und uns neugierig anstarrten.
»Hör bitte auf, mit den Zähnen zu klappern. Das klingt gruselig«, sagte Gideon.
»Ich bin ein Mörder«, sagte ich.
»Hast du schon mal was von Notwehr gehört? Du hast dich selbst verteidigt. Oder eigentlich mich, wenn man's genau nimmt.«
Er lächelte mich schief an und mir schoss durch den Kopf, dass ich noch vor einer Stunde geschworen hätte, dass er so etwas niemals würde zugeben können.
Konnte er auch nicht.
»Nicht dass es nötig gewesen wäre . . .«, sagte er. »Oh, und ob das nötig war! Was ist mit deinem Arm? Du blutest!« »Ist nicht weiter schlimm. Dr. White wird das verarzten.« Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. Die kühle Abendluft tat mir gut, allmählich beruhigte sich mein Puls und auch das Zähneklappern hörte auf.
»Mir ist das Herz stehen geblieben, als ich dich plötzlich gesehen
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