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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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nicht nachvollziehen. Margret Tilney hatte sich zwar ausdrücklich ein Gespräch mit mir gewünscht, aber sie hatte ja keinen Zeitpunkt dafür bestimmt. Selbst wenn es ihre Absicht war, mich in eine Falle zu locken, so konnte sie nicht wissen, an welchem Tag und zu welcher Stunde in ihrem Leben wir auftauchen würden.
    Und es war erst recht sehr unwahrscheinlich, dass es Lucy und Paul gelingen würde, uns genau in der gewählten Zeitspanne abzupassen. Willkürlich hatte man sich für den Juni des Jahres 1912 entschieden. Da war Margret Tilney fünfunddreißig Jahre alt und lebte mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem Haus in Belgravia. Und genau dort würden wir sie besuchen.
    Ich sah hoch und bemerkte, wie Gideons Blick auf mir ruhte. Genauer gesagt auf meinem Ausschnitt. Das war ja wohl die Höhe!
    »Hey, starrst du etwa auf meinen Busen?«, zischte ich empört.
    Er grinste. »Nicht direkt«, flüsterte er zurück.
    Plötzlich wusste ich, was er meinte. Im Rokoko war es wesentlich einfacher gewesen, Gegenstände hinter Spitzenbesätzen zu verstecken, dachte ich.
    Aber leider war auch schon Mr George auf uns aufmerksam geworden.
    Er beugte sich vor. »Ist das etwa ein Handy?«, fragte er. »Aber du darfst keine Gegenstände aus unserer Zeit in die Vergangenheit mitnehmen!«
    »Warum denn nicht? Es könnte sich als nützlich herausstellen!« (Und das Foto von Rakoczy und Lord Brompton war toll geworden!) »Hätte Gideon das letzte Mal eine anständige Pistole dabeigehabt, wäre es bedeutend leichter gewesen.«
    Gideon verdrehte die Augen.
    »Stell dir mal vor, du würdest dein Handy in der Vergangenheit verlieren«, sagte Mr de Villiers. »Wahrscheinlich könnte der, der es findet, nichts damit anfangen. Aber möglicherweise doch. Und dann würde dein Handy die Zukunft verändern. Oder eine Pistole! Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Menschheit noch früher als ohnehin schon auf die Idee käme, ausgeklügelte Waffen zu benutzen.«
    »Diese Gegenstände wären außerdem ein Beweis für eure und auch unsere Existenz«, sagte Dr. White. »Es könnte sich durch ein kleines Versehen alles ändern und das Kontinuum wäre in Gefahr.«
    Ich kaute an meiner Unterlippe, während ich darüber nachdachte, inwiefern Pfefferspray, das ich beispielsweise im 18. Jahrhundert verlieren würde, die Zukunft der Menschheit verändern könnte. Vielleicht nur zum Guten, wenn es denn die richtige Person fände . . .
    Mr George streckte seine Hand aus. »Ich gebe solange darauf acht.«
    Seufzend griff ich mir in den Ausschnitt und legte ihm das Handy in die Hand. »Aber nachher kriege ich es sofort wieder!«
    »Sind wir dann endlich so weit?«, erkundigte sich Dr. White. »Der Chronograf ist startklar.«
    Ich war so weit. Ich hatte ein leichtes Kribbeln im Bauch und ich musste mir eingestehen, dass ich das hier viel besser fand, als irgendwo in einem langweiligen Jahr im Keller hocken zu müssen und meine Hausaufgaben zu machen.
    Gideon warf mir einen prüfenden Blick zu. Vielleicht überlegte er, was ich sonst noch versteckt haben könnte. Ich sah unschuldig zurück - das Pfefferspray würde ich erst beim nächsten Mal mitnehmen können. Schade eigentlich.
    »Bereit, Gwendolyn?«, fragte er schließlich.
    Ich lächelte ihn an. »Bereit, wenn du es bist.«
     
    »Die Zeit ist aus den Fugen, verfluchte Schicksalstücken,
     dass ich geboren ward, um sie zurechtzurücken.«
     
    Hamlet
     William Shakespeare (1564-1616)
     

15.
    Eine Droschke der Wächter brachte uns von Temple nach Belgravia, immer am Themseufer entlang, und diesmal konnte ich doch eine Menge von dem mir bekannten London draußen wiedererkennen. Die Sonne bestrahlte Big Ben und Westminster Cathedral und zu meiner großen Freude flanierten Menschen mit Hüten, Sonnenschirmen und hellen Kleidern wie meinem über die breiten Boulevards, die Parks leuchteten frühlingsgrün, die Straßen waren ordentlich gepflastert und kein bisschen matschig.
    »Das ist wie die Kulisse zu einem Musical!«, sagte ich. »Ich will auch so einen Sonnenschirm haben.«
    »Wir haben einen guten Tag erwischt«, sagte Gideon. »Und ein gutes Jahr.« Er hatte seinen Zylinder im Keller gelassen und da ich das an seiner Stelle auch so gemacht hätte, hatte ich kein Wort darüber verloren.
    »Warum passen wir Margret nicht einfach in Temple ab, wenn sie zum Elapsieren kommt?«
    »Das habe ich ja zweimal versucht. Ich hatte es nicht einfach, die Wächter von meinen guten Absichten zu

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