Rubinrotes Herz, eisblaue See
ich hörte nicht mehr zu.
Etwas an der Hand mit der Zigarette zog mich an. Ich machte ein paar Schritte, bis ich neben dem Sessel stand, nicht weit von dem Aschenbecher. Ich betrachtete die Hand. Sie war klein, fast wie die von Carlie. Mein Blick wanderte den Arm hinauf, und ich sah in ein graues Männergesicht, das mich aus tief in den Höhlen liegenden Augen anstarrte. Der Mann zog an seiner Zigarette, stieß den Rauch aus, schnippte die Asche weg und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Ich folgte seinem Blick. Zwei Männer prügelten sich in einem Boxring. Dann sah ich wieder sein Gesicht an.
»Was gibt’s da zu glotzen?«, krächzte er, die Augen starr auf den Fernseher geheftet.
»Nichts«, sagte ich.
Er hustete und spuckte etwas in ein Taschentuch. »Nichts? Was ist das denn für ‘ne dämliche Antwort?«
»Daddy«, sagte Carlie und legte ihre Hand auf meinen Kopf. »Das ist meine Tochter Florine.«
Er sagte nichts, sah sie nicht einmal an.
Doch dann sagte Daddy mit seiner höflichsten Stimme: »Wie geht es Ihnen, Sir?«, beugte sich hinunter und streckte die Hand aus. Der Mann sah ihn an, legte das Taschentuch beiseite und ergriff die Hand. Er murmelte etwas, das ich nicht verstand, dann wandten Daddy und er sich dem Boxkampf zu.
Die beiden Kinder hatten sich auch noch ins Wohnzimmer gedrängt, und Carlies Mutter sagte zu Carlie: »Komm, wir gehen in die Küche, ich mache uns einen Kaffee.« Als ich hinter Carlie herging, fühlte ich, wie eine kleine Hand nach meiner griff. Ich sah Robin an. »Du bist meine Cousine«, sagte sie. Wir gingen in die Küche, die gelbe Wände hatte und einen roten Tisch mit fünf Stühlen drum herum. In der Ecke neben dem Herd standen Tigers Näpfe. Eine Fliege schwirrte summend um eine halb gefressene Portion Katzenfutter.
Carlie setzte sich an den Küchentisch. Ben tapste grinsend mit seinen nackten Füßen auf dem Fußboden herum und sah immer wieder aus dem Augenwinkel zu mir. Robin hielt weiter meine Hand. »Wo ist Robert?«, fragte Carlie.
»Oh, der arbeitet«, sagte Carlies Mutter. Sie trug ein grün kariertes Hauskleid und alte Pantoffeln, die über den Boden schleiften, wenn sie ging. Sie kippte Kaffeereste in einen fast vollen Mülleimer, spülte den Filter aus und gab frischen Kaffee hinein.
»Tut mir leid, dass ich euch nicht besucht habe«, sagte Carlie. »Der Weg ist so weit.«
»Es ist schön, dich zu sehen«, sagte Carlies Mutter rasch. Dann sah sie mich an. »Du bist wirklich eine Hübsche.« Als sie lächelte, sah ich Carlie in ihr. »Wie alt bist du?«, fragte sie.
»Sechs«, antwortete ich, und Carlie sagte, sie fände, ich sähe Leeman sehr ähnlich.
»Sie hat dein Haar«, sagte Carlies Mutter. »Dieselben Locken. Sie sieht ein bisschen aus wie du in dem Alter.«
»Sie hat meinen Mund.«
Carlies Mutter lächelte. »Gott steh ihr bei.«
»Wie alt ist Robin?«, fragte Carlie.
»Viereinhalb.«
»Und wo ist Liz?«
»Sie und Robert haben sich scheiden lassen«, sagte Carlies Mutter. Dann, zu Robin gewandt: »Hast du nicht Lust, Florine deine Spielsachen zu zeigen?« Als wir die Küche verließen, hörte ich, wie sie sagte: »Hat angefangen, zu trinken. Robert hatte genug, und …«
Ich folgte Robin eine steile Treppe hinauf, und wir kamen in einen zweiten Flur, in dem noch mehr Wäschekörbe standen. Robins Zimmer lag am Ende des Flurs, hinter einem Bad und einem weiteren Zimmer auf der rechten Seite, in dem ein Kinderbett stand.
Ihr Zimmer war vollgestopft mit Puppen in allen Formen und Größen. »Heiliger Strohsack«, sagte ich, »du hast aber viele Puppen.«
»Ich stell sie dir vor«, sagte Robin. Sie hielt jede einzelne hoch und nannte mir ihren Namen. Ich erwiderte: »Freut mich, dich kennenzulernen«, gab ihnen die Hand, und wir kicherten.
»Wir könnten Schwestern sein«, schlug ich ihr vor.
Robin sagte: »Einverstanden«, und wir sahen uns an.
»Du kannst mich ja mal besuchen kommen«, sagte ich, und Robin hüpfte vor Freude auf und ab. Dann sagte sie: »Komm, ich bürste dir die Haare.« Sie nahm eine winzige blaue Bürste aus einem glänzenden Plastikpuppenkoffer, der auf ihrem Bett lag, und fuhr damit über meinen Lockenwust. Ihre kleinen Hände kitzelten wie Mottenflügel, als sie mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht strich. Dann bürstete ich ihr langes, glattes Haar. Als ich fertig war, sagte ich: »Wir können Daddy und Carlie ja mal fragen, ob du mit zu uns kommen kannst.« Doch wir hatten kaum ihr Zimmer verlassen, da
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