Rückgrad
aber er hob den Kopf. Die Räder drehten sich weiter, ohne daß er sich diesmal dazu entschloß, sie anzuhalten. Der Blick, den er mir zuwarf, war eine rasche Abfolge wirrer, zumindest widersprüchlicher Gefühle. Ich mochte Richard sehr, er wußte es.
- Das ist ‘ne Sache zwischen Hermann und mir …. erklärte er schließlich.
- Hmm … Jedenfalls ist es kein Verbrechen, ein Mädchen bis vor die Haustür zu begleiten, das solltest du einsehen.
Er fuhr in die Höhe. Einen Moment lang wirkte er plötzlich ratlos, von einer starken Verwirrung ergriffen, die ihn schmerzlich erstarren ließ, doch er fing sich sogleich, und mit einem Tritt, der der gesamten Erde galt, beförderte er sein Fahrrad auf den Rasen.
Inzwischen stand er mit dem Rücken zu mir, und natürlich ballte er die Fäuste, und ohne jeden Zweifel biß er die Zähne zusammen, denn ich hörte ihn, vor Zorn kochend, durch die Nase atmen. Was er empfand, das brauchte man mir nicht lang und breit zu erklären, aber ich beschloß, es für heute dabei bewenden zu lassen, ich hatte selbst genug Scherereien. Lautlos machte ich mich auf den Weg zu meiner Maschine.
- ER HAT SIE ABER GEKÜSST …! rief er mir nach.
Gegen zwei Uhr nachts lag ich auf meinem Bett, die Augen weit aufgerissen. Seit Francks Abreise waren meine Nächte völlig aus den Fugen geraten. Dabei litt ich genaugenommen nicht unter Schlaflosigkeit, denn es passierte regelmäßig, daß ich zehn, zwölf Stunden an einem Streifen schlief, jedoch erst, wenn ich zwei beinahe gänzlich durchwachte Nächte hinter mir hatte, m denen ich mich auf den Federn der Matratze wälzte und hin und her warf, unermüdlich zwischen Schlaf und Wachsein trieb und diesen alternden Körper verfluchte.
Die Hände unter dem Kopf, beobachtete ich das Glas Gin auf meinem Bauch.
Wenn es umfiel, hieß das in der Regel, daß ich zuviel getrunken hatte. Der erste Eindruck war unangenehm, aber danach war ich wie ein Kind, das ins Bett gepinkelt hat, hin und her gerissen zwischen Vergnügen und Scham. In mein immer lauer werdendes Kataplasma gehüllt, schlingerte ich mühsam ins erste Morgenrot, worauf ich heldenhaft in die Küche hinabstieg und mir eine große Schale Kaffee kochte, um meine Übermüdung zu bekämpfen.
Ich hatte nur einige Gläser getrunken, mein Bett war noch trocken. Obschon überzeugt, daß es keine Lösung gab, amüsierte ich mich damit, meine Probleme schwindelig zu wälzen. Ich betrachtete sie von sämtlichen Seiten, ergötzte mich fast an ihrer Unlösbarkeit, ihren ungemein scharfen Konturen, ihrem metallisch blinkenden Glanz, und ich fragte mich, wird es schmerzlicher sein als all die anderen Male, werde ich geschüttelt und zerstampft, werden Schreie aus meinem Mund hervorbrechen …?
Ich gähnte, aber ich traute dem Braten nicht einen Augenblick, hatte ich doch eine gewisse Erfahrung in der Sache. Ich würde nicht so leicht einschlafen, jetzt, da Hermann anfing, um Gladys herumzuscharwenzeln, bestimmt würde ich nach dem Geschenk, das mir C. V. Bergen gemacht hatte, nicht auf Anhieb in Schlaf versinken! Trotz allem blieb ich ruhig, ich regte mich nicht mit dem Glas auf meinem Bauch. Ein Typ, dem bereits die Bretter und das Dach seines Hauses auf den Schädel geknallt sind, sieht die Dinge letztlich mit philosophischem Gleichmut. Ach, all die Prüfungen, all die finsteren Sümpfe, die hinter mir lagen. In dieser Hinsicht war ich nicht besser dran als jeder andere.
2
Wir waren nicht allein, Paul hatte es mir deutlich zu verstehen gegeben. Ich durfte all die jungen Schriftsteller nicht vergessen, die nur dank seiner Hilfe existierten. Vielleicht war einer unter ihnen, der sich eines Tages als Genie entpuppte, vielleicht waren sie gerade dabei, den großen Wurf zu verfassen, während ich mich anschickte, alles über den Haufen zu werfen.
- Dan, wenn nur wir zwei wären …. hatte er mir erklärt und nach meiner Schulter gefaßt. Ach, wenn nur wir zwei wären, Danny, wir würden ihm ins Gesicht speien …! Das Problem liegt woanders …
Daß er mir die Zukunft der neuen Generation auf die Schultern lud, entbehrte in meinen Augen nicht einer gewissen Pikanterie. Die Literatur und ich, das war schon lange vorbei, aus und vorbei, und siehe da, plötzlich war ich derjenige, der in den sauren Apfel beißen und sich mit seiner ganzen Person dafür einsetzen sollte. Aber konnte ich mich der Ironie des Schicksals entziehen? Konnte ich es auf mich nehmen, in dieser gnadenlosen Welt ohne Job
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