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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ich ließ alle möglichen Einladungen von Pauls Schreibtisch mitgehen, ich organisierte mordsmäßige Picknicks. Ich entdeckte Sarah. Ich stellte fest, daß ich sie ganz und gar nicht kannte. Wir quatschten ganze Nachmittage miteinander, während die Kinder auf die Bäume kletterten.
    Auf die Bäume zu klettern interessierte sie nicht mehr. Schlug man ihnen einen Abstecher aufs Land vor, gähnten sie einem ins Gesicht. Gladys trug einen BH, und die beiden Jungen blätterten meine Pornozeitschriften durch. Diese Ausflüge begeisterten nur mehr Sarah und mich, und sie wurden immer seltener, gleichsam Museumsstücke. Es führt zu nichts, gegen den Lauf der Welt anzukämpfen.
    Als der Schlußpfiff ertönte, stieß Max einen Siegesschrei aus. Vor Freude knüllte er seine Schirmmütze zusammen und warf sie in meine Richtung. Sarah blies ihm einen kleinen Kuß von den Fingerspitzen zu, während er sein Hemd in seine Hose stopfte. Das war eine Art Tick von ihm, eine Obsession, sich ständig seiner Hose zu versichern. Ich hatte ihn im Hochsommer dabei ertappt, daß er mit bloßem Oberkörper unwillkürlich irgendein unsichtbares Hemd in seine Shorts schob und vor Zufriedenheit blinzelte.
    - Und, was macht dein Rücken …? fragte er mich, während wir uns im Flur, vor dem Umkleideraum der Mädchen, die Beine in den Bauch standen. Die Tür war zu, aber man hörte die ganze Truppe unter der Dusche schreien und lachen.
    - Hm, so la la …
    - Jaja, nimm ruhig die Salbe weiter, die ich dir gegeben hab.
    - Alles klar. Sehr gut.
    - Komm doch heute abend vorbei. Ich setz dir ein paar Nadeln.
    Seit ein paar Monaten hatte sich Max vorgenommen, meinen ständigen Kreuzschmerzen ein Ende zu machen, und ich diente ihm als Versuchskaninchen. Ein Buch in der Hand und über meinen Rücken gebeugt, versuchte er, die Akupunkturpunkte zu lokalisieren, meine Lebenskraftlinien, dann steckte er mir plötzlich einen Finger zwischen die Rippen. Mir blieb die Luft weg.
    - Tut dir da was weh, spürste da was …? Ich sah nur Sternchen.
    Max behauptete, die lymphatische Drainage räume mit allem auf, das sei nur eine Frage der Zeit. Ich hingegen war der unumstößlichen Ansicht, all diese Jahre, die ich auf einem Stuhl verbracht hatte, all diese dem Dämon der Schrift geopferten Jahre hätten mir ein für allemal die Wirbelsäule ruiniert und die Wirbel verhunzt. Im übrigen war das nur die Spitze des Eisbergs.
    - Ich hab mich schon um Typen gekümmert, die waren noch viel schlechter dran, schärfte mir Max ein. Haste kein Vertrauen zu mir …?
     
    Einige Tage lang rotierte ich wie ein Löwe im Käfig. Paul erklärte mir, er habe gewisse Schwierigkeiten, die Scherben zu kitten, besonders, was Marianne Bergen anging, die von mir partout nichts mehr wissen wolle. Aber ich solle mich nicht grämen, ihr Vater habe versprochen, die Sache geradezubiegen. Und vor allem, er hatte einen Scheck geschickt. Pauls Stimme glich dem Zwitschern eines Vogels an einem Frühlingsmorgen, er war in Hochform.
    Ich stellte mir das Mädchen vor, wie es in ihrem Salon Blumentöpfe schmiß und ein Foto von mir in tausend Stücke zerfetzte. Es gelang mir nicht, ihr Gesicht zu rekonstruieren. Im Aufzug hatte sie den Kopf gesenkt, und in Pauls Büro hatte ich sie kaum angesehen. Ich erinnerte mich an nichts oder nur verschwommen, ich wußte nur, daß sie lange, schwarze Haare hatte und ein Manuskript mit sich herumschleppte.
    Paul konnte noch so beruhigend auf mich einreden, mir war klar, wie schlecht sich die Sache angelassen hatte. Es fiel mir ohnehin entsetzlich schwer, mir die Arbeit von jemand anders anzugucken, aber jetzt standen wir bereits auf Kriegsfuß, bevor wir auch nur angefangen hatten, dieses Mädchen und ich. Wenn ich nur daran dachte, mixte ich mir ein Glas und machte mich daran, den Vergaser meines Motorrads zu zerlegen, um auf andere Gedanken zu kommen, oder ich goß die Blumen und stopfte die Waschmaschine voll.
    Morgens trabte ich mit Max ein wenig durch die Nebelschwaden, die über den Ginstersträuchern hinter dem Sportplatz schwebten. Spaß machte mir das nicht, aber ich konnte mir nicht mehr tatenlos, ohne die geringste Gegenwehr, ansehen, wie ich auf einem Stuhl dahinstarb, wie mein Bauch schlaffer wurde, wie meine Muskeln verkümmerten und meine Puste schwand wie Schnee in der Sonne. Ich wollte nicht, daß mich Hermann mit angewiderter Miene betrachtete, noch nicht.
    Bevor wir unter die Dusche gingen, legte ich mich in einer Ecke der Turnhalle auf eine

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