Rueckkehr nach Glenmara
sogar futuristische Raumanzüge genäht hatte. Selbst in ihrer Freizeit war sie selten ohne Nadel und Faden zu sehen gewesen. Sie hatte Kate das Zeichnen und Nähen beigebracht. Du besitzt eine Gabe , hatte sie zum Summen der Singer-Nähmaschine gesagt, als sie schwarze und orangefarbene Stoffbahnen zusammennähte, gezackte Litzen an Ärmeln anbrachte, Oberteile und Röcke aneinanderfügte. Mutter und Tochter im Kostüm, mit Umhängen, spitzen Hüten und Besen. Kate war damals vier, ihre Mutter siebenundzwanzig. Kate hatte einen Plastikkürbis für die Süßigkeiten mitgenommen, als ihre Mutter sie an der Hand von Haus zu Haus führte in jener klaren, mondhellen Halloween-Nacht der Geister und Kobolde.
Was würde ihre Mutter jetzt sagen? Nimm Nadel und Faden in die Hand und fang noch mal von vorn an. Man kann immer von vorn anfangen.
Wenn es doch nur so einfach wäre, dachte Kate.
»Sie haben eine künstlerische Ader, stimmt’s?«, fragte Bernie. »Und Stil, das sieht man an Ihrem Regenmantel.«
»Danke, aber ich bin bis auf die Knochen durchnässt.«
»Stimmt«, meinte Aileen und musterte Kate von oben bis unten. »Haben Sie schon was gefunden?«
Kate schob eine feuchte Haarsträhne hinters Ohr und tat so, als hätte sie Aileens kritischen Tonfall nicht bemerkt. »Meiner Mutter hätten diese Sachen gut gefallen«, sagte sie. Statt mit Kate im Herbst die Cliffs of Moher entlangzuwandern, war Lu im Krankenhaus gewesen, wo Kate sie täglich besuchte und die Krankenschwestern sich über ihre große Ähnlichkeit äußerten – sie hatten die gleichen Haare, Augen und Gesten und das gleiche Lachen.
Und das gleiche Pech mit Männern.
»Hat sie auch eine künstlerische Ader?«
Hatte. Kate korrigierte sie nicht, weil sie keine betroffenen Blicke sehen und Mitleidsbekundungen hören wollte.
»Sie fehlen ihr wahrscheinlich sehr, jetzt, wo Sie am anderen Ende der Welt sind«, meinte Bernie.
Sogar noch weiter, dachte Kate.
Bernie ließ die Nadel durch die Spitze gleiten. »Möchten Sie das Klöppeln lernen?«
»Sieht nicht so aus, als ließe sich das innerhalb von Minuten bewerkstelligen«, sagte Kate. »Aber danke, dass Sie es mir anbieten. Wenn mehr Zeit wäre …« Ihre Finger sehnten sich nach einer Nadel; alte Gewohnheiten legte man nur schwer ab.
»Sie bleiben doch ein paar Tage, oder?«, fragte Bernie. »Sie sind schon zu lange unterwegs.«
Ja, das stimmte. »Eigentlich möchte ich nur eine Nacht hier verbringen«, antwortete Kate, der Killarney und der Ring of Kerry im Süden einfielen, all die Orte, die auch ihre Mutter hatte besuchen wollen. »Gibt es im Ort eine Pension?«
»Gehen Sie auf keinen Fall zu Dooley’s«, warnte Aileen
sie. »Da ist es feucht. Der letzte Gast dort hat in der Nacht alle Sachen aus seinem Koffer angezogen und sich trotzdem verkühlt, was, Bernie?«
»Ja, der arme Kerl. Fast hätte er ins Krankenhaus gemusst. Er war ganz blau gefroren.«
»Stört die Besitzer die Kälte denn nicht?«, fragte Kate.
»Ach was. Die sind dran gewöhnt. Um die aus der Ruhe zu bringen, wär schon ein Schneesturm nötig. Sie würden vermutlich noch in der Antarktis einen Badeanzug tragen und damit den Pinguinen einen Mordsschrecken einjagen«, sagte Aileen.
Da kam ein Labrador unter dem Tisch hervor und drückte seine feuchte Schnauze gegen Kates Hand.
Kate kraulte ihn hinter den Ohren. »Dich hab ich noch gar nicht bemerkt. Bist du aber ein hübscher Kerl.«
Der Hund bellte einmal kurz und sah Bernie erwartungsvoll an.
Bernie tätschelte seinen Kopf. »Er will sagen, dass Sie bei uns bleiben sollen. Mein Fergus hat einfach Menschenkenntnis.«
Aileen verdrehte die Augen.
Bernie schenkte ihr keine Beachtung. »Ihr Timing könnte nicht besser sein. Ich wollte sowieso das Gästezimmer vermieten. Erwarten Sie sich allerdings nichts Ausgefallenes. Immerhin ist es geräumig. Und ich kann Ihnen versprechen, dass ich die Fenster geschlossen und das Bettzeug trocken halte, damit Sie sich keine Lungenentzündung holen.« Sie lachte.
»Ich möchte Ihnen keine Umstände machen.« Kate betrachtete die leere Straße, über die sich allmählich die Dunkelheit
senkte. Heute würde sie auf keinen Fall mehr weiterreisen. Sie hatte ihren bewährten Schlafsack mit der Thermobeschichtung dabei, konnte also unter freiem Himmel nächtigen. Das hatte sie bereits getan, unter Büschen, in leeren Scheunen, verlassenen Gebäuden, um Geld zu sparen, aber besonders attraktiv erschien ihr der Gedanke nicht, so nass
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