Rückkehr nach Kenlyn
über der Stadt verharrten, waren weder sie noch Keru bereit, sich von ihren Sonnenaugen zu trennen.
»Weiter!« Endriel wollte ihren Weg durch die kalte Straße fortsetzen, aber Keru hielt sie noch fest. »Warte!«, brummte er. »Bevor wir aufs Schiff marschieren, haben wir noch eine Sache zu klären.« Er sah zu Liyen.
»Was ist?«, fragte sie den Skria. Eine Schneeflocke landete auf ihrer Nase und schmolz augenblicklich. »Warum siehst du mich so an?«
»Ich überlege nur, ob ich dich vielleicht kenne.«
»Ich glaub nicht, dass wir uns schon begegnet sind.«
»Vielleicht«, knurrte er. »Lass uns kurz allein!«
Liyen sah argwöhnisch erst ihn, dann Endriel an. »Warum?«
»Darum!«
»Bitte«, sagte Endriel. »Wir müssen uns kurz besprechen.«
»Na gut«, lenkte Liyen säuerlich ein. »Aber nur, weil ihr so nett darum bittet.« Sie ging ein paar Schritte auf Abstand, während im Hintergrund weiter die Alarmrufe der Piraten gellten. Es war nur eine Frage von Minuten, bis die Weißmäntel hier sein würden.
»Und – kennst du sie?«, fragte Endriel mit gesenkter Stimme, als Keru sich ihr zuwandte.
»Nein«, brummte er und behielt dabei das rothaarige Mädchen im Visier.
»Du sagst immer, Menschen sehen für dich alle gleich aus, also überleg bitte noch einmal ganz genau!«
»Ich kann mich nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben. Ihr Gesicht, ihr Geruch – nichts davon kommt mir bekannt vor. Aber es gibt zu viele Mitglieder des Kults, denen ich nie begegnet bin.«
»Also, was tun wir?«
»Hrrhmmm. Wenn wir sie mitnehmen und sie ist eine von denen ...«
»Aber hierlassen können wir sie auch nicht: Ich brauche sie für die Armschiene!« Endriel fuhr sich müde durch das Haar. Es war ein viel zu langer Tag gewesen. »Außerdem: Wenn sie mit uns fliegt, haben wir sie zumindest im Auge.«
»Oder sie hat uns am Arsch.« Keru entblößte seine Reißzähne.
»Oder das.« Endriel nickte.
»Ich muss dir nicht sagen, wie sehr ich diese Situation hasse.«
»Nein, musst du nicht, Keru. Es geht mir selbst nicht viel besser dabei. Hör zu, ich hab einen Plan.«
»Etwa wieder einer von denen, die uns alle in Lebensgefahr bringen?«
Endriel knuffte ihn in die Seite. Dann erzählte sie ihm, was sie vorhatte. Keru war nicht glücklich darüber. Leider hatte er auch keine anderen Optionen zu bieten.
»Wir können weiter!«, sagte Endriel, Liyen zugewandt. Diese nickte nur, nicht weniger misstrauisch als zuvor.
Sie hatten keine zwanzig Meter zurückgelegt, da schien plötzlich der ganze Planet aufzukreischen:
Die Piratenschiffe rasten los, eines nach dem anderen. Sie hatten ihre Schubdüsen die ganze Zeit für eine schnelle Flucht brennen lassen; nun feuerten ihre Piloten die Antriebe voll durch und jagten die Maschinen gen Osten über die geplünderte Stadt, wobei ihre saphirenen Lichtspuren mehrere Dächer in Brand setzten. Endriel, Keru und Liyen hielten sich die Ohren zu und mussten dies keine drei Minuten später wiederholen, als die Schiffe der Friedenswächter die Verfolgung aufnahmen – eins, zwei, drei, vier, fünf Schiffe, die über Tian-Dshi hinwegrasten und es erneut erbeben ließen. Endriels Blick folgte ihnen zum östlichen Horizont, wo ein rotes Blitzgewitter entbrannte.
»Sie lassen die Stadt einfach so zurück?«, fragte Liyen fassungslos und sprach damit Endriels Gedanken aus.
»Nein.« Keru deutete in die andere Richtung: Ein weiteres Schiff näherte sich und setzte zur Landung im Stadtzentrum an. Es war kleiner und weniger schnittig als die Kriegsschiffe des Ordens und erinnerte mehr an einen Frachter. Sein Rumpf trug das Friedenswächter-Emblem, sowie das Zeichen des Blauen Drachen.
»Ein mickriges Lazarettschiff für die ganze Stadt?« Endriel konnte es nicht glauben. »Das kann nicht deren Ernst sein!«
»Harte Zeiten«, brummte Keru mit galligem Sarkasmus. »Und jetzt weiter!«
Er ließ sein Sonnenauge hinter einer Gartenmauer verschwinden. Endriel tat es ihm gleich; sie war froh, die verhasste Waffe los zu sein. Als sie kurz darauf den Landeplatz erreichten, atmete sie erleichtert auf: Die Korona stand unversehrt im Kreis der anderen Drachenschiffe. Dann sah sie die vier reglosen Körper, die wie schwarze Lumpenbündel auf dem Pflaster lagen, das mittlerweile aussah, wie mit Puderzucker bestreut. »Was ist denn hier –?«
»Nicht jetzt«, knurrte Keru.
»Hast du sie etwa ...?« Liyen verstummte, als Kerus rotglühender Blick sie traf. »›Nicht jetzt‹, schon
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