Rückkehr nach Killybegs
bis zum Weg. Dann ließ er mich los. Er ging voran, ich folgte schweigend. Es war der Weg zum Hafen. Seine Augen waren fast geschlossen. Als wir McGarrigle begegneten, der an George, dem Esel, zerrte, spuckte mein Vater auf den Boden. Der Esel iahte.
»Éirinn go Brách!« , schrie mein Vater, nachdem er das Tier geschlagen hatte. »Irland für immer!« Der Schlachtruf des »einigen Irland«, der heilige Spruch, der die grüne Fahne mit der goldenen Harfe zierte.
Das war am Donnerstag, dem 9. November 1936. Patraig Meehan hatte die Hand gegen einen Esel erhoben. Und ich hatte nicht nur den Vater, sondern auch einen Helden verloren.In Killybegs wurde mein Vater am Ende zum »bastard« , so nannten ihn die Leute flüsternd hinter seinem Rücken. Für mich war er der »böse Mann«. Er, Patraig Meehan, der frühere IRA-Kämpe, der legendäre Veteran, das wunderbare Großmaul, der abendliche Geschichtenerzähler, der Pubsänger, der Hurling-Spieler, der größte Stout-Trinker, der je auf dem Boden Donegals geboren wurde. Man hatte Angst vor ihm. Auf der Straße gefürchtet, im Pub ignoriert, in seiner Ecke zwischen Dartscheibe und Männertoilette der Gleichgültigkeit überlassen. Ein Dreckskerl, ein Mann ohne Bedeutung.
*
Er starb mit den Taschen voller Steine. So haben wir erfahren, dass er sich das Leben nehmen wollte. Das war im Dezember 1940. Da legte Pat Meehan eines Morgens unter dem Schweigen meiner Mutter seinen Sonntagsstaat an. Ging aus dem Haus und nahm seinen Platz im »Mullin’s« ein. Trank viel, wie jeden Tag. Die Gläser sollten nicht abgeräumt, sondern an der Tischkante gestapelt werden, um zu demonstrieren, wozu er imstande war. Er trank allein, las nicht, sprach mit niemandem. In dieser Nacht haben wir auf ihn gewartet.
Im Morgengrauen hüllte sich meine Mutter in ihr Wolltuch, um Baby Sara zu schützen, die in ihrem Bauch schlief. Und suchte in dem verlassenen Dorf nach ihrem Mann. Ich ging in den Pub. Der Kellner rollte mit der Hand Bierfässer über den Bürgersteig. Mein Vater hatte die Kneipe um ein Uhr verlassen. Als einer der Letzten. Kurz bevor sie geschlossen wurde, war er zwischen den Tischen umhergeirrt undhatte nach einem Blick gesucht. Aber keinen gefunden. Der Wirt hatte ihm mit dem Kinn die Tür gewiesen. Draußen bog er nach links ab. Richtung Hafen. Streifte im Gehen an den Mauern seines Dorfs entlang. Zwei Zeugen hatten gesehen, wie er sich in der Nähe des Steinbruchs bückte und etwas vom Straßenrand aufhob. Es war sehr kalt. Man fand ihn am frühen Morgen am Ausgang des Dorfs, auf dem Weg zum Meer. Grau auf der gefrorenen Erde liegend, Eis statt Blut in den Adern. Den linken Arm erhoben, die Faust geballt, als hätte er mit einem Engel gekämpft. Die Polizei glaubte erst an einen Zufallstod. Betrunken hingefallen, nicht mehr hochgekommen und beim Warten auf den Morgen eingeschlafen. Erst als sie ihn umdrehten, begriffen die Männer von der Garda Síochána , dass mein Vater auf dem Weg in den Tod gestorben war. Überall Steine. In den Taschen seiner Hose, seiner Weste, seiner Jacke, seines blauen Wollmantels. Sogar in seiner Mütze. Nachts am Steinbruch hatte er Felsbrocken gesammelt. Und während er seinem Ende entgegenging, hatte sein Herz aufgegeben. Er wollte sterben wie die Bauern hier. Ins Meer gehen, bis es ihn mitnahm. In den Taschen ein bisschen von seinem Land. Beladen mit seiner Erde, ohne Worte, ohne Tränen. Nur Wind, Wellen und das Licht der Toten. Patraig Meehan wollte ein legendäres Ende. Das meines Vaters war kläglich, das Gesicht vom Eis zerschrammt und die Steine umsonst.
2
Nach dem Tod meines Vaters wandten sich die Blicke von uns ab. Elend war ansteckend. Uns vorbeigehen zu sehen brachte Unglück. Wir waren keine Familie mehr, nur noch ein blasses Häuflein. Ein klägliches Rudel, angeführt von einer Wölfin am Rande des Wahnsinns. Wir gingen hintereinander her und hielten uns jeder am Mantel des anderen fest. Drei Monate lebten wir von der christlichen Nächstenliebe. Halfen für Kohl und Kartoffeln im Kloster. Róisín und Mary schrubbten auf Knien die Flure. Séanna, Klein-Kevin und ich putzten Dutzende Fenster. Áine, Brian und Niall halfen im Refektorium, meine Mutter saß auf einer Bank im Flur, Baby Sara unter dem Wolltuch an ihrer Brust vergraben. Ich war nicht unglücklich. Nicht traurig, nicht neidisch. Wir lebten von dem bisschen. Abends lieferten sich meine Brüder und ich Faustkämpfe mit der Bande von Timy Gormley, der sich »König
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