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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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der Kais« nannte. Ein Dutzend Jungs. Zerrissen, geflickt, grindig und voller Wut wie wir, aber hart wie Lebkuchen und erstaunt, wenn sie sich blutige Nasen holten. Sie nannten uns die »Meehan-Gang«. Father Donoghue schlug mit Nussbaumästen auf uns ein, um uns zu trennen. Er duldete kein Lachen in den Gewölben des Klosters und noch weniger unsere nächtlichen Spiele.Im Winter 40 gingen Séanna und ich Torf stechen. Zwei Monate lang, jeden Tag. Im Frühling und zu Allerheiligen hatten wir dort schon immer ausgeholfen, mit dem Spaten Stücke aus dem Moor gebrochen und die Maultiere beladen, aber es war das erste Mal, dass wir im Frost arbeiteten. Der Bauer brauchte Arbeitskräfte, um die Ernte einzubringen. Sonst hatte uns der Schlamm die Schuhe ausgezogen, jetzt wurden sie durch die Nässe und den Reif steif wie Pappe. Um die zwanzig Kinder standen in den Gräben. Der Bauer nannte uns seine »Saisonarbeiter«. Das klang hübscher als Waisenkinder. Wir froren und schlotterten, die gestapelten Torfsoden lagen schwer wie tote Kameraden in unseren Armen. Dafür bekamen wir Torf, Speck und Milch. Kein Geld. Geld sei nur was für Männer, wir müssten ja weder trinken noch rauchen.
    Joseph »Joshe« Byrne war der Wackerste unter uns und der Jüngste, knapp sechs. Neun Stunden täglich stapelte er die gefrorenen Ziegel und beschwerte am Ende die schützende Plane. Und sang dabei. Er schenkte uns den Himmel. Seine Stimme machte uns zu Seefahrern und ließ unsere Hände, die in der Erde gruben, fliegen, als setzten wir Segel. Er sang im Takt, mit verschränkten Armen, bei Regen und Wind, auf Irisch und Englisch. Er sang und stampfte dabei mit dem Fuß auf die Erde. Da er noch nicht lesen und schreiben konnte, kam er mit den Texten manchmal durcheinander. Er erfand Wörter und Reime und brachte uns zum Lachen.
    Sein Vater war weg, seine Mutter tot. Joshe, der einzige Junge der Familie, wurde von seinen Schwestern großgezogen, wuchs zwischen erdbeschmierten Röcken und fettigenSchürzen auf. Er wollte entweder Soldat oder Priester werden, etwas, was den Menschen nützte. Da er zart war und Brillenträger, kam also nur Priester in Frage.
    Wenn er nicht sang, betete er am Rand eines Grabens für uns – wie am Rand eines Grabes. Morgens, bevor wir den Spaten in die Hände nahmen, lauschten wir kniend. Abends, beim Angelusläuten von Saint Brigid, sagte er das Ave-Maria auf und schaute böse, wenn unsere Lippen geschlossen blieben. Father Donoghue mochte ihn. Nannte ihn »den Engel«. Joshe war sein Chorknabe. Alle hatten vor ihm Respekt, trotz seines zarten Alters, seines hässlichen Gesichts, seiner Kreidehaut, seines Rosshaars, seiner schielenden Augen und riesigen Ohren. Manche Frauen meinten, sein Körper sei von einem Geist besessen. Mama hielt ihn für einen leprechaun , einen Elf, einen Kobold aus unseren Wäldern. Tim Gormley schwor, Gott habe ihn mit seinem Aussehen geschlagen, um ihn zu einem Märtyrer zu machen.
    »Das wäre schade!«, erwiderte Joshe sanft. »Hoffentlich nicht.«
    Und Gormley stand da mit seiner Bosheit, im Kreise seiner Hyänenbrüder, und wusste nicht genau, was er damit anfangen sollte.
    Wegen der Gormleys haben wir Irland verlassen. Ihre Grausamkeit brachte das Fass zum Überlaufen. Im Februar hatten Timy und Brian Klein-Kevin auf dem Weg vom Pfarrhaus abgepasst und in die Enge getrieben. Er hatte gerade Milch vom Bauern geholt. Er schwang seine Kanne und spuckte. Das machte er immer. Wenn er Angst hatte, wenn er wütend war oder ihn jemand in seinem Schweigen störte, sträubteer sich wie eine Katze. Die roten Haare vor den Augen, die Lippen über den schwarzen Zähnen hochgezogen, das Kinn vollgesabbert, spuckte er. Diesmal wichen die Gormleys nicht zurück. Timy schlug ihm mit einem Hurling-Schläger auf die Beine, Brian ihm mit der geballten Faust aufs Ohr. Klein-Kevin verbeulte die Aluminiumkanne an der Mauer und spuckte nach den Schatten. Als er nach Hause kam, hinkte er und weinte, den Henkel der Kanne, die auf den Bürgersteig gefallen war, in der Hand. Niemand schimpfte. Meine Mutter schaute aus dem Fenster. Aus Angst, dass die Bande ihn verfolgte. Séanna und ich stürzten hinaus, mit einem Geschmack von Milch und Blut im Mund. Klein-Kevin war voller Urin. Die Schweine hatten auf ihn gepisst. Wir rannten durchs Dorf und riefen Timy Gormley bei seinem verfluchten Namen. Séanna warf einen Stein in die Auslage des Krämerladens, in dem Timys Mutter arbeitete. Wir brachten niemanden um.

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