Rückkehr nach St. Elwine
brütende Hitze wie heute. Seit Monaten stand meine Tasche bereit. Mein Bauch war bereits so dick geworden, dass ich nicht mehr sehen konnte, welche Schuhe ich trug. Am Abend vorher habe ich mir im Fernsehen einen Krimi angesehen. Der war sehr spannend gewesen und hat mich total aufgewühlt. Sie haben dort einen kleinen Jungen umgebracht, und ich wusste plötzlich, dass ich auch einen kleinen Jungen bekommen würde und wollte ihn vor allem Bösen beschützen.“
„ Wusstest du nicht, dass ich ein Junge werde?“
„ Nein. Natürlich hat der Arzt Ultraschalluntersuchungen gemacht. Da kann man genau erkennen, welches Geschlecht das Baby hat. Aber ich wollte mich unbedingt überraschen lassen.“
Kevin nickte vielsagend. Flo musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen.
„ Jedenfalls an dem Morgen, an dem du geboren wurdest, war ich mächtig aufgeregt. Ich bin schon sehr früh aufgewacht, weil ich Rückenschmerzen hatte. Dein Daddy schlief noch tief und fest und ich schlich mich ins Badezimmer, um zu duschen. Ich wollte Val nicht aufwecken. Dann hab ich ihm Frühstück gemacht, und die Rückenschmerzen wurden immer schlimmer. Schließlich rüttelte ich ihn vorsichtig wach und flüsterte in sein Ohr:“ Schatz, heute wird dein Pupi geboren.“
Bei dem Wort Pupi zog Kevin missbilligend die Stirn kraus und verzog anschließend seinen Mund. Floriane fuhr unbeirrt fort.
„ Dein Daddy schoss wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett. Zuerst dachte er, ich hab nur einen Witz gemacht, aber dann begriff er wohl, dass es mein voller Ernst war. Er flitzte ins Bad, kam frisch geduscht aber nackt wieder zum Vorschein und kramte in dem großen Kleiderschrank herum. `Was tust du denn da zum Kuckuck?`, wollte ich wissen. `Schatz` sagte er schließlich mit einem ganz sonderbaren Gesichtsausdruck. `Würde es dir wohl etwas ausmachen, wenn du an meiner Hose die Tasche an meinem Hintern wieder annähst? Eine Ecke hat sich gelöst. ` `Bist du nicht bei Verstand?`, hab ich zu ihm gesagt. `Du hast doch wohl noch mehr Hosen im Schrank als nur diese eine. Ich habe jetzt wirklich andere Sorgen, also wirklich.` `Ach Flo, bitte. Verstehst du denn das nicht?` Offensichtlich nicht, vielleicht kannst du mir das mal erklären!` `Das hier ist meine Lieblingsjeans und ich möchte sie unbedingt tragen, wenn unser Pupi auf die Welt kommt. Das geht doch aber nicht mit zerlumpter Potasche. ` Ich war so gerührt, dass ich es sofort tat. Nadel und Faden aus dem Nähkasten kramte und begann, die Jeans auszubessern. Daddy schüttete sich in der Zeit den Kaffee herunter, futterte einen Toast und dann wuchtete er meine große Tasche aus dem Schlafzimmer in den Flur. Ich biss den Faden mit den Zähnen durch und reichte ihm schließlich seine heiß geliebte Jeans. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er mit dem Fuß in das Hosenbein fuhr. Dann bretterten wir mit rasantem Tempo ins Krankenhaus und keine vier Stunden später, kamst du auf die Welt.“
„ Du hast die Geschichte ziemlich abgekürzt.“
Kevin klang leicht vorwurfsvoll.
„ Ach was?“
„ Ach ja. Ich weiß es genau. Erzählst du mir von dem Land, wo du als Mädchen gelebt hast? Du weißt schon, dass mit dem komischen langen Namen.“
„ Du meinst die Deutsche Demokratische Republik- die DDR.“
Kevin nickte nur und blinzelte gegen die hoch stehende Sonne.
„ Nun ich hatte eine wunderbare Kindheit dort. Zuerst hab ich in einem kleinen Dorf gewohnt. Es hieß Bützer. In der Havelstraße, die tatsächlich direkt zur Havel führte. Der ganze Ort war irgendwie ein großer Abenteuerspielplatz. Natürlich nicht wirklich, aber mir kam es damals so vor.“
Gott - diese Hitze machte ihr mehr zu schaffen als ihr lieb war. Floriane verspürte schrecklichen Durst. Ihr Bauch wiederholte jetzt immer öfter seinen erbarmungslosen Trommelwirbel. Sie mussten nunmehr bereits eine Stunde zu Fuß unterwegs sein. Endlich tauchte ein Hinweisschild auf. Noch eine Meile bis nach St. Elwin. War das nun mehr oder weniger als einen Kilometer. Ach, diese amerikanischen Bezeichnungen waren für sie immer noch ein Rätsel. Sie brachte sie ständig durcheinander. Na, auch egal, sie musste die Strecke so oder so zurücklegen. Ihr war nahezu jeder Ort recht, wenn es dort nur etwas zu trinken gab. Noch eine Meile, eine klitzekleine Meile. Das musste doch zu schaffen sein.
„ In der Schule haben Sie erzählt, dass die Menschen in der DDR nicht frei leben konnten. Nicht verreisen, nicht alles sagen und
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