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Rückkehr nach St. Elwine

Rückkehr nach St. Elwine

Titel: Rückkehr nach St. Elwine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Orlowski
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sah ihm dabei aber in die Augen und zog ihn einfach nur fest an sich.
    Woher wusste dieses Kind nur immer solche Dinge? Wo nahm er immer dieses untrügliche Gespür dafür her?
    „ Ich will auch nicht mehr weiter reisen. Ich dachte, Daddy holt uns wieder zurück. Aber er wird nicht kommen, oder?“
    „ Nein, er wird nicht kommen.“
    Er schwieg lange, doch dann sagte er ruhig: „ Es ist meinetwegen. Er hat oft gesagt, dass ich eine Nervensäge bin. Auch wegen der Scheiß Schule.“
    Floriane schnitten seine Worte mitten ins Herz. Sie konnte ihm unmöglich sagen, dass er Recht hatte, dass sein Daddy der Belastung nicht mehr gewachsen war. Kevin war hyperaktiv. Die Ärzte nannten das AD/HS- Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung. Wunderbare Bezeichnungen hatten sie ja immer parat.
    Nun, was Val betraf, hatte er sich nie damit abfinden können, dass sein Sohn anders war als die meisten Kinder. Den Gedanken an ihn musste sie fortschieben. Sie zwang sich einfach dazu, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Das hatte sie schließlich in den vergangenen Monaten wunderbar hingekriegt. Es war ungemein wichtig, ihrem Körper Befehle zu erteilen, so dass er wie ein Automat funktionierte. Sie brauchte ihre tägliche Routine, um nicht an ihren Ängsten und Zweifeln zu ersticken. Immer suchte Flo dann nach etwas Greifbarem und fand es auch. Ihr fiel ein, dass sie gar nicht darauf geachtet hatte, ob ihr Sohn heute überhaupt schon sein Ritalin geschluckt hatte. Zum Glück waren Schulferien, und Kevin und sie mussten nicht ständig fremden Forderungen gehorchen. Manchmal hängte ihr so ein strenger Tagesablauf selbst zum Halse raus.
    Trotz all ihrer Sorgen verblüfften sie die Beobachtungsgabe, der Scharfsinn und seine Intelligenz immer wieder aufs Neue. Es war ihr Kind!
    Sie konnte gar nicht anders, als darauf stolz zu sein. Obwohl mehr als die Hälfte seiner Lehrer ihr etwas anderes einzureden versuchten. Sein jetziger Kummer tat ihr körperlich weh. Sie wollte auf keinen Fall, dass er seinen Vater so einschätzte, so schwach und auf seine eigene Bequemlichkeit bedacht. Ein Kind brauchte doch die Liebe seiner Eltern, und zwar beider Elternteile. Selbst wenn sich diese Liebe später als eine Art Illusion heraus stellen sollte. Später, wenn Kevin erwachsen war, so hoffte sie jedenfalls, konnte er dies alles ganz sicher besser verstehen.
    Endlich hatte sich ihr Herzschlag wieder so weit beruhigt, dass sie ihm eine Antwort geben konnte: „Nein, dass stimmt nicht.“ Flo suchte fieberhaft nach den richtigen Worten. „Daddy und ich, wir hatten Probleme miteinander.“
    Sie startete einen weiteren Versuch, ihn zu trösten und zog ihn wieder an sich.
    „ Er ist anders als ich.“ Liebevoll strich sie durch sein zerzaustes Haar.
    „ Wir haben kaum gemeinsame Interessen. Ich habe andere Vorstellungen vom Leben als er, und irgendwann haben wir gedacht, dass es besser wäre, sich für unbestimmte Zeit zu trennen.“
    Kevin musterte sie skeptisch.
    „ Sieh mal das passiert andauernd. Du hast doch selbst gesagt, dass Julies Eltern sich scheiden lassen oder dass Rogers Mutti einen neuen Mann heiraten will.“
    Sie sah genau, dass es hinter seiner Stirn arbeitete wie in einem Uhrwerk.
    Vorsichtig fragte sie schließlich: “Weißt du noch?“
    Jetzt nickte er und murmelte: „Stimmt.“
    Dann, nach einer kurzen Pause, fuhr er ernst fort: „Ich will trotzdem nicht mehr weiter reisen. Können wir uns in dem nächsten Ort, den wir erreichen, eine Wohnung suchen? Egal, wohin wir kommen.“
    „ Na gut, wenn es dort eine Schule gibt, bin ich einverstanden.“
    Warum nicht, wenn schon mein ganzes Leben so vermurkst ist, können wir auch gut und gerne dieses Risiko eingehen.
    Kevin grinste sie an. Dann nahm er ihre Hand und sie gingen gemeinsam ihrer neuen Heimat entgegen. Es störte ihn nicht im geringsten, dass er nicht wusste, wo dass sein würde.
    Floriane rann der Schweiß den Rücken lang runter. Es juckte unangenehm unter ihrem Rucksack.
    „ Erzählst du mir von früher?“, bat Kevin.
    „ Was willst du denn hören, Kumpel?“
    „ Wie war das, als ich auf die Welt kam?“
    Kevin liebte es den Geschichten zu lauschen, die seine Mutter ihm erzählte. Er sah die Vergangenheit dann stets lebendig vor seinen Augen entstehen.
    „ Also, gut. Zum wievielten Mal die Geschichte der Geburt des Kevin Usher?“
    „ Zum neunundachtzigsten Mal.“
    Sie lachte über seinen Humor.
    „ Es war ein lausig kalter Tag. Nicht so eine

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