Ruf der Dämmerung (German Edition)
schön, dass ich das auch mal erfahre! Wie viele Jahre habe ich denn wohl schon verloren? Durch eine kleine Wunderheilung und ein paar Küsse?«
Sie tat erbost, aber sie verspürte nicht wirklich Wut, sondern eher Angst – und das nicht nur um ihr Leben. Tatsächlich war es so, dass es sie nicht reute, Ahi Lebenskraft gegeben zu haben. Im Gegenteil, sie wollte es immer wieder tun. Was ging da in ihr vor? Was machte er mit ihr?
»Ich weiß es nicht, meine Geliebte. Niemand weiß das. Und vielleicht stimmt es auch gar nicht. Es gibt andere, die sagen, dass sich die Lebenskraft der Menschen immer wieder erneuere – zumindest, solange ihre Seele jung ist.« Ahi sah sie ängstlich an und hielt ihr wieder die Hände hin. Ein Angebot. Eine sanftere, aber ebenso gefährliche Version von Up, ride the kelpie!?
Viola war es egal. Sie griff seine Hände und schmiegte sich an ihn. Zurzeit nahm er nichts von ihr, zumindest nicht so viel, dass sie es spürte, wie damals, als sie seine Verletzung heilte, und in jenen Tagen, in denen er sie nicht berühren wollte. Weil er zu hungrig war? Weil das Kelpie ihr Kraft rauben konnte, auch ohne es zu wollen?
»Es wird dunkel, bring mich zurück an Land«, forderte sie leise.
Ahi senkte die rechte Hand wieder ins Wasser, den linken Arm legte er um Viola und zog sie an sich. »Ich werde dir nie wehtun …«, flüsterte er. »Bevor ich dein Leben nehme, gebe ich dir meines …«
Diesmal öffnete sie die Lippen, als er sie küsste.
9
Als Viola nach Hause kam, herrschte dort helle Aufregung.
»Wo warst du bloß?«, fragte ihr Vater, der ziemlich ziellos herumlief und irgendwelche Sachen zu packen schien. »Wir müssen nach Dublin, das Baby kommt!«
Viola warf Ainné einen Blick zu. Die junge Frau saß am Kamin und hielt sich ihren inzwischen gewaltig angeschwollenen Bauch. Ob es diesmal wirklich ernst wurde? Zumindest hielt sie den Mund, was bei falschem Alarm bisher nie der Fall gewesen war. Und sie wirkte ziemlich blass und krümmte sich jetzt auch wie unter einer Wehe zusammen.
»Die Fruchtblase ist geplatzt …«, präzisierte ihr Vater, was den Wischmopp erklärte, mit dem er jetzt unsicher in der Küche hantierte. Viola hoffte, er würde sie nicht dazu heranziehen, hinter Ainné herzuputzen, aber zum Glück war er bereits so gut wie fertig. »Wenn ich bloß die Tasche finden könnte …«
Ainné hatte längst ihre Tasche für die Klinik gepackt, und sie stand natürlich da, wo sie immer stand – auf der Garderobe im Flur. Gewöhnlich hätte Ainné ihrem Mann dies entgegengeschleudert und ihn für sein kopfloses Verhalten gescholten. Wenn sie jetzt nur da saß und den Vorgängen in ihrem Körper nachzuspüren schien, musste das Kind wirklich kommen.
Viola wuchtete die Tasche von der Garderobe, trug sie zum Auto und machte sich Sorgen – ihr Vater war offensichtlich völlig durch den Wind. Ob er auch derart verrücktgespielt hatte, als Viola damals unterwegs war? Jetzt jedenfalls stützte er Ainné und schien entschlossen zu sein, den ganzen Weg über ihre Hand zu halten. Wie er dabei Auto fahren wollte, war Viola schleierhaft. Sie überlegte kurz, ob sie besser mitkam oder zu Hause blieb. Schließlich entschied sie sich dafür, ihren Dad zu begleiten, das war bestimmt sicherer: Sie konnte zumindest ein bisschen darauf aufpassen, dass er seine Hände am Lenkrad behielt!
Aber dann war das gar nicht nötig. Tatsächlich wartete jemand an der Bushaltestelle, an der sie auf dem Weg zur Schnellstraße vorbeimussten, und Viola erkannte Patrick!
»Halt an, Daddy! Wir können ihn mitnehmen!«, rief sie erleichtert. »Er kann fahren und du kannst dich um Ainné kümmern.«
Viola erinnerte sich jetzt auch daran, was Patrick hier machte. Shawna hatte schließlich seit Tagen von nichts anderem geredet als von seinem Besuch. Dabei war es nicht ganz klar, ob der wirklich Shawna galt oder vor allem Miss O’Keefe. Sie hatte ein paar alte Notensammlungen, die Patrick sich für eine Semesterarbeit leihen wollte.
Immerhin hatte er Shawna getroffen. Sie stand auch jetzt neben ihm an der Haltestelle, hatte sich mit Rock und himmelblauem Flauschpulli herausgeputzt, und sah glücklich aus. Als die McNamaras hielten und sie von Ainnés Baby erfuhr, wollte sie gleich helfen. »Soll ich für Bill kochen, Ainné?«, fragte sie eifrig. »Allein macht der sich doch nichts. Und ich komme natürlich runter und helfe bei den Pferden. Ich kann das auch ganz allein machen, wenn Bill nach Dublin will und
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