Ruf der Daemmerung
... was weiß ich, ein Asiate mit hellen Haaren? So als Prinz von Siam ließe ich den durchgehen. Aber doch nicht als irischen Traveller! Und er ist ja ganz niedlich, aber ... aber irgendwie komisch, Vio. Irgendwie ... Erzähl noch mal genau, wie du an den gekommen bist!«
Viola biss die Zähne zusammen, entschied sich dann aber, nicht mehr zu lügen als nötig. »Das weißt du doch genau, Katja. Und damals hast du mich für verrückt erklärt. Ali ist ein bisschen eigen, das hab ich dir immer gesagt. Aber wenn man ihn näher kennt ...«
»Wenn man ihn näher kennt, raubt er einem den Schlaf und den Appetit, ja? Mensch Vio, guck dich doch mal an! Du hast bestimmt fünf Kilo abgenommen oder mehr. Und du siehst aus wie ... wie ein Mädchen aus dem Horrorfilm, nachdem der Vampir sich satt gegessen hat ...«
»Er ist kein Vampir!«, sagte Viola heftig. »Es liegt auch gar nicht an ihm ... Es ist mehr ... also alles hier ... Ainné ...« Verzweifelt bemühte sie sich, das Leben auf dem Campingplatz der McNamaras zu schildern wie einen Horrortrip. Ainnés Ansprüche, ihre schlechte Laune, das Dauerbrüllen des Babys ...
»Na ja, und die Schule ist auch ziemlich anstrengend. Ganztags, und winzige Klassen, man muss richtig was tun ... Mit Ali hat das jedenfalls nichts zu tun. Ali ist total süß ...«
Sie schilderte die Nacht der Sternschnuppen und den Ausflug auf die Aran-Inseln. Katja schien allerdings nur begrenzt beruhigt.
Immerhin verstand Katja sie etwas besser, als die Mädchen unten die Tür schlagen hörten und Bill ins Wohnzimmer trat. Er schaltete sofort den Fernseher ein, woraufhin Kevin zu schreien begann.
»Musikantenstadl mag er gar nicht«, seufzte Viola und versuchte, ihre Tür noch fester zu schließen. »Womit er immerhin einen guten Geschmack beweist.«
Bill schien das egal zu sein. Um das Baby zu übertönen, drehte er den Ton einfach lauter. Ainné brüllte ihn daraufhin an. Alan verlegte sich auf höfliche Bitten.
Katja hielt sich entsetzt die Ohren zu. »Oh, Gott! Komm, lass uns flüchten. Zeig mir den Campingplatz und den See, und meinetwegen besuchen wir deinen Ali. Aber das hier hält ja kein Mensch aus!«
Viola nickte und suchte nach ihrer Jacke. Kurz darauf standen die Mädchen im Freien.
»Das Haus ist einfach zu klein«, erklärte Viola. »Vor allem, wenn niemand bereit ist, sich anzupassen, und das liegt Bill ja nun leider gar nicht. Das Beste wäre, er würde ausziehen. Aber Ainné und Bill kleben aneinander wie Pattex, wahrscheinlich war sie deshalb auch nie verheiratet. Wenn ein Mann nicht total in sie vernarrt ist, macht er das nicht mit. Aktuell kriege andauernd ich die Schuld für das Chaos, weil ich Kevins Zimmer blockiere.«
Katja fasste sich an die Stirn. »Das komplette Tollhaus! Aber nun hast du's ja bald geschafft. Wann kommt deine Mom wieder? Übernächsten Monat?«
Viola biss sich auf die Lippen und wies ihrer Freundin den Weg zum See. »Ende nächsten Monats. Aber ich ... also ich weiß nicht ... vielleicht bleibe ich doch noch hier, zumindest bis zum Ende des Schuljahrs ...«
Katja sah sie von der Seite prüfend an. »Das meinst du nicht ernst!«, erregte sie sich dann. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass du hier etwas lernst, was du zu Hause nicht mitkriegst! Na ja, darum geht es ja wohl auch nicht, oder, Vio? Es geht einzig und allein um Ali ...«
Viola seufzte. »Es würde mir jedenfalls schwerfallen, ihn zu verlassen«, gab sie dann zu.
Im Prinzip war das die Untertreibung des Jahres. Allein der Gedanke, Ahis Berührungen nicht mehr zu spüren, seine singende Stimme nicht mehr zu hören und sein seltsam perlendes Lachen, verursachte ihr fast körperliche Schmerzen. Er und sie waren eins - man durfte sie nicht auseinanderreißen! Ahi empfand sicher genauso. Aber ob er die Kraft aufbrachte, sich auf Dauer von seinem See zu trennen? Ganz und gar bei den Menschen zu leben, ohne jede Möglichkeit einer Rückkehr? Das Singen seines Clans nicht einmal mehr zu erahnen?
»Aber du kannst dich hier unmöglich auf Dauer einnisten!«, gab Katja zu bedenken. »Bis jetzt ist es ja Blödsinn, dass du dem Blag von dieser Ainné im Weg stehst. Aber wenn das Kind älter ist, braucht es wirklich ein eigenes Zimmer.
Viola blitzte sie an. »Ich sprach von ein paar Monaten, nicht davon, zu bleiben, bis Kevin achtzehn ist ...«
Katja hob beschwichtigend die Hand. »Schon gut, reg dich nicht auf! Aber was ist damit gewonnen, dass du das Problem bis zum Sommer aufschiebst?
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