Ruf der Daemmerung
sah sich den Stein für Kevin an, polierte ihn mittels einer kleinen Maschine und fasste ihn sehr schlicht in Silberdraht.
»Nicht so schön wie deiner ... «, kommentierte sie und schaute befriedigt auf Violas Anhänger, den sie über ihrem Pullover trug, wie fast immer, wenn sie mit Ahi zusammen war. »Aber es ist nett, mal den Jungen kennenzulernen, der ihn dir wohl geschenkt hat. Nicht nur äußerlich ein Prinz.« Sie zwinkerte Viola zu. »Du bist zu beneiden!«
Viola war froh, als sie wieder auf der Straße standen.
An der Endstation des Shuttle-Busses vom Flughafen brauchten sie nicht lange zu warten. Katja musste in Rekordzeit durch die Kontrollen gekommen sein und sich dann blitzschnell orientiert haben. Jedenfalls erreichte sie nur eine Dreiviertelstunde nach der Landung ihres Fliegers die Innenstadt.
Johlend vor Freude fiel sie Viola in die Arme. »Oh Mann, bald sechs Monate! Ich hatte schon vergessen, wie du aussiehst!«
Viola selbst hatte ganz und gar nicht vergessen, wie ihre Freundin aussah: Katja war ein großes, schlankes Mädchen mit vollem dunklem Haar, das sie kurz geschnitten trug und in das sie immer wieder gewagte Highlights färbte. Heute betrachtete der verwirrte Ahi karottenrote Strähnen in der sonst ebenholzfarbenen Mähne. Katja hatte leuchtend blaue Augen, sehr wach und schnell skeptisch. Ihre aktuelle Stimmung, ihre Gefühle und Launen spiegelten sich darin, wie der See in Ahis seltsamer, heute vage graublauer Iris.
Bei Katjas Ankunft hatten ihre Augen gestrahlt, als hätte man dahinter ein Licht angezündet, aber nachdem sie sich von Viola gelöst hatte und ihre Freundin richtig anschaute, blickte sie nur noch entsetzt, und das breite Lächeln auf ihren knallig rubinrot geschminkten Lippen erstarb. »Wobei du dich allerdings auch verändert hast ...«, sagte sie tonlos. »Was um Himmels willen machst du, Vio? Diät? Oder zu viel Sport? Oder schleppst du nächtelang euer Baby rum? Du siehst aus, als hättest du Magersucht!«
Viola versuchte, sie mit einem Lächeln zu beschwichtigen.
»Ich war erkältet«, behauptete sie. »Und mit dem Blag hast du nicht ganz unrecht, viel Schlaf krieg ich nicht. Aber jetzt hör mal auf mit der Unkerei. Schau, das ist Ali!«
Ahi schaute schon wieder schuldbewusst drein, rang sich jetzt aber ebenfalls ein Lächeln ab. »Hallo! Ich ... ich hab schon viel von dir gehört.«
»Ich von dir auch ...«, meinte Katja und sah ihn prüfend an. Sie schien seinem Charme nicht auf Anhieb zu verfallen.
Ein paar Sekunden herrschte peinliches Schweigen. Niemand wusste so recht, was er sagen sollte. Schließlich nahm Katja ihren Rucksack.
»Gibt's hier ein McDonalds oder so was?«, erkundigte sie sich. »Ich komme um vor Hunger, im Flieger gab es nichts. Und wenn ich dich so angucke, Vio ... dann hoffen wir besser nicht drauf, dass deine Ainné nachher für uns kocht!«
Dublin hatte natürlich Hunderte von Schnellrestaurants und Viola zerstreute dort zumindest Katjas Befürchtungen in Richtung Magersucht. Wie fast immer war sie heißhungrig und stopfte gewaltige Mengen von Essen in sich hinein, während Ahi verlegen Salat knabberte und Katja ihren Lieblingshamburger verdrückte. Sie fand dabei ausreichend Zeit, Violas Freund weiter zu mustern und auch ein bisschen zu examinieren. Immerhin hatte Ahi in den letzten Wochen gelernt, etwas geschickter auf neugierige Fragen zu antworten. So erklärte er ihr, seine Familie ernähre sich natürlich nicht vegetarisch, das tue nur er.
»Ali ist eben ganz anders als seine Familie!«, erklärte Viola. »Deshalb ist er da ja auch weg ...«
Schließlich ließ Katja das Thema Ali vorerst auf sich beruhen und sie redeten über die Schule und ihre Freunde in Braunschweig. Mit der Zeit verlor sich Violas Nervosität. Gut, Katja konnte wohl nicht viel mit Ahi anfangen, aber sie schien auch keine Einwände gegen ihn zu haben.
Die entscheidenden Fragen prasselten dann allerdings gleich auf sie ein, als sie beide allein waren. Ahi hatte sich bei ihrer Ankunft auf dem Campingplatz verabschiedet. Er wirkte wieder mal etwas traurig, aber Viola mochte ihn nicht zum Bleiben auffordern, zumal er sich mit Hausaufgaben herausredete.
Katja begrüßte artig Ainné, behauptete, Kevin süß zu finden, und entschuldigte sich für die Umstände, die sie möglicherweise machte. Dann verzogen sich die Mädchen in Violas Zimmer - und Katja legte sofort los. »Ein Tinker soll das sein, Vio, ein Zigeuner? Nie, der sieht mehr aus wie ein
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